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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kitty Sewell
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entdeckten sie etwas Großes, Braunes. Ein schwerer Elchbulle riss an dem Gras zu seinen Füßen. Ian hob mahnend den Arm. Thorn, der Hund, legte sich sofort fach auf den Boden, die Nase zwischen seine Vordertatzen gedrückt. Sie standen reglos da und beobachteten den Riesen der Natur. Seine Schulterhöhe überstieg die Größe eines Menschen, und sein Geweih hatte eine Breite von fast zwei Metern. Dafydd merkte, dass Ian langsam sein Gewehr hob.
    »Bist du verrückt«, schrie Dafydd und schlug das Gewehr zur Seite. »Tu das nicht.«
    Thorn sprang knurrend auf, und der Elch schwang den Kopf empor, wobei er die schwere Last des Geweihs elegant balancierte. Eine Sekunde lang stand er stocksteif mit zitternden Nüstern da, dann drehte er sich um und galoppierte zwischen den Bäumen davon, schwerelos wie in Zeitlupe.
    »Wir sind ganz schön nervös, oder?«, meinte Ian gereizt. »So entstehen Unfälle.«
    »Okay. Aber ich habe dir gesagt, dass ich so etwas nicht mag.«
    »Ich wollte ihn nicht erschießen, Kumpel. Habe nur aus Spaß auf ihn gezielt. Wir hätten das Ding ohnehin nicht zurück nach Hause schleppen können.«
    »Ach ja, und das hätte ich erraten sollen?« Dafydd hob seine Tasche auf und trat in den Sonnenschein hinaus. Aber Ian rief ihn zurück.
    »Das ist weit genug. Man kann sich hier leicht verlaufen. Lass uns heimgehen.«
    Auf einen Wink hin raste Thorn los, umkreiste Dafydd und trieb ihn zurück, wobei er bellend und tänzelnd um seine Füße sprang.
    Eine Zeit lang gingen sie schweigend dahin. Dafydd hoffte, dass Ian ihm den Ausbruch nicht nachtragen würde. Er mochte seinen Kollegen trotz dessen gelegentlicher Unverschämtheit und seiner groben Manieren, und er brauchte unbedingt einen Freund. Ian war untypisch, verdammt untypisch für einen Arzt, ja, sogar ein wenig verrückt. Er hatte Probleme. Vielleicht mit Alkohol, vielleicht mit etwas anderem. Er war Kettenraucher und machte oft einen sehr angespannten Eindruck. Eine Frau schien es in seinem Leben nicht zu geben.
    Dafydd brach das Schweigen. »Ian, hast du eine Freundin … oder eine Bekannte?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Keinerlei weibliche Gesellschaft? Du bist mit den Mädchen im Klondike sehr freundschaftlich umgegangen«, insistierte Dafydd. Er dachte unwillkürlich an Brenda.
    Ian grinste. »Du möchtest wissen, ob ich fachgelegt werde?«
    »Okay, wirst du fachgelegt?«
    »Keine Sorge, dieser Ort ist das Paradies für lockeren Sex.«
    »Das habe ich nicht gemeint …«
    Ian schritt energisch weiter, und sie marschierten hintereinander her. Raben krähten laut, als sie unter ihren Nestern vorbeigingen. Der Lärm ihres Gekreisches hallte gespenstisch in den umstehenden Bäumen wider. Sie folgten keinem bestimmten Weg, es gab auch keinen, aber Ian wirkte zielstrebig. Er schien die Richtung zu kennen.
    »Wenn du flachgelegt werden willst, mein Freund«, sagte er plötzlich, ohne sich umzudrehen, »dann such dir besser nicht unsere freundliche Oberschwester aus.«
    »Oh, keine Chance«, versicherte Dafydd. »Aber warum die Warnung?«
    »Hast du ihre scharfen, kleinen Zähne gesehen? Die können einem die Männlichkeit ganz schön ramponieren.«
    Überrascht blieb Dafydd stehen. »Meinst du das wörtlich oder symbolisch?«
    »Beides. Ich meine beides.«
    »Herr im Himmel!«
    »Es wird nicht lange dauern, und dann wird sie dich mit ihren scharfen Titten anmachen.«
    Dafydd lachte. »Es klingt, als sprächest du aus Erfahrung.«
    »Und ich will verflucht sein, wenn ich sie nicht wiederhole.«
    Deutete Ian damit an, dass er sich von Sheila fernhalten sollte, weil er sie für sich beanspruchte? So klang es nicht. »Sie gehört dir«, sagte Dafydd, um sicher zu sein, dass er Ian richtig verstanden hatte.
    »Um Gottes willen, nein. So läuft das bei Sheila nicht.«
    »Stört dich das?«
    »O Mann, du hast mich völlig falsch verstanden. Sie kann tun, was zum Teufel sie will. Es hat nichts mit mir zu tun. Wir haben nichts laufen, und erst recht nichts Verbindliches. Ich hab dich nur gewarnt, weil man leicht gefangen wird und dann dafür bezahlen muss.«
    »Meinst du das wörtlich oder symbolisch?«
    Ian warf lachend den Kopf zurück. Dabei zeigte er seine schönen Zähne und sah plötzlich jung und vital aus. Seine gute Laune war wiederhergestellt. Dann schien er über die Frage nachzudenken.
    »Beides, Mensch. Beides. Du wirst schon sehen.«
    Die Bäume standen noch immer dicht nebeneinander. Wahrscheinlich waren sie noch weit von der Hütte

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