Zeit der Eisblueten
Taxifahrer kannte es überhaupt nicht.«
»Es ist vor ein paar Jahren abgebrannt. Bis auf die Grundmauern. Mr George wurde verhaftet.« Tillie glättete ein paar nicht vorhandene Falten auf dem purpurnen Bettüberwurf. »Er musste wegen Brandstiftung ins Gefängnis. Konnte die Hypothek nicht bezahlen. Wir alle hatten großes Mitleid mit ihm. Solch ein Pech.«
Dafydd musterte das Gesicht dieser unschuldig wirkenden Frau. Das war Moose Creek. Er hatte die Regeln vergessen, nach denen scheinbar normale Menschen hier ihr Leben führten und sich in Notsituationen freisprachen. Brandstiftung war vollauf gerechtfertigt, wenn man die Hypothek nicht bezahlen konnte. Ein Mann musste tun, was er tun musste.
Dafydd spürte einen überwältigenden Drang, Tillie zu erzählen, warum er hier war. Sie zu fragen, warum sich ihrer Meinung nach eine Frau an diesem Ort schwängern ließ und dann viele Jahre verschwieg, wer der Erzeuger war. Vielleicht wusste sie ja sogar etwas darüber: über Sheila und die Kinder. Er spürte, dass sie seine schwierige Lage verstehen und mit ihm sympathisieren würde. Aber andererseits – warum sollte sie? Sie war eine Frau und betrachtete das Leben aus einer weiblichen Perspektive. Vor allem, wenn es um eine Geschlechtsgenossin ging, der Unrecht geschehen war; um eine alleinerziehende Mutter, die zusehen musste, wie sie ihre Zwillinge über die Runden brachte. Er überlegte es sich anders; vielleicht benötigte er das purpurne Bett noch einige Zeit. »Wann gibt es Frühstück?«, fragte er.
Die Stadt hatte sich verändert, sie war gewachsen. Seit es eine Highway-Anbindung gab, kamen die Menschen in Scharen. Die meisten blieben nicht lange, aber die Suche nach Öl und Gas und die Gerüchte über den Abbau von Diamanten, ein ungeheurer Anstieg des Ökotourismus sowie seine Antithese – die Jagd, das Fischen, die Fallenstellerei und das Schürfen – und andere, zwielichtigere Beschäftigungen spülten einen ständigen Strom begeisterter Pioniere in die neuen Bars. Lautstark schwärmten sie davon, wie sie mit Taschen voller Geld oder Diamanten oder Gold nach Süden zurückkehren würden, und sie hoben in vorzeitiger Selbstbeweihräucherung ihre Biergläser.
Inzwischen hatten neue Verhandlungen über eine Pipeline begonnen, aber jetzt kamen die seit kurzem anerkannten Bodenrechte der Ureinwohner ins Spiel. Der Prozess verlief quälend langsam, weil sich die unterschiedlichen Eskimostämme sowohl untereinander als auch mit der Regierung und mit den Ölgiganten einigen mussten. Die Neuankömmlinge maßen diesen Details jedoch keine sonderliche Bedeutung bei. Sie lebten von der Hand in den Mund und warteten darauf, dass sich der launische Goldregen über diejenigen ergoss, die genug Ausdauer bewiesen hatten.
Dafydd ließ sich durch Tillies anschaulichen Bericht auf den neuesten Stand bringen, bevor er The Happy Prospector verließ, ohne gleich seine Sachen auszupacken. Er schlenderte durch die Stadt und registrierte die Veränderungen. Neue trostlose Gebäude hatten die schäbigen alten ersetzt. Ästhetische Gesichtspunkte hatten dabei keinerlei Rolle gespielt, alles war rein funktionell. Er vermisste die idiotische Protzerei des Klondike, die der Hauptstraße ihren verrückten Wildwest-Touch gegeben hatte. Ein anderes großes und teures Hotel war errichtet worden. Sein Inneres sollte beeindruckend sein, aber es glich einem riesigen Schuhkarton.
Der erste Schnee war fast wieder weggetaut, aber die Kälte machte sich bereits bemerkbar. Um Viertel vor fünf war es schon fast dunkel. Die Geschäfte begannen zu schließen, und Dafydd überquerte rasch die Straße zum Kaufhaus The Hudson Bay Company, das inzwischen einfach in The Bay umbenannt worden war, um sich ein paar lange Unterhosen und einen Parka zu kaufen. Er war über das Warenangebot des Geschäfts überrascht, denn früher hatte es dort nur verstaubten Tand für frustrierte Hausfrauen gegeben – nichts, was man wirklich gebrauchen konnte. Er ging die Hauptstraße hinunter zum Spirituosenladen und erstand eine Flasche Southern Comfort.
In sein Zimmer zurückgekehrt, stellte er den Fernseher an, öffnete die Flasche und goss sich einen kräftigen Schluck in einen Becher. Er streifte die Schuhe ab und streckte sich auf einem rosa Lehnstuhl aus. Der Southern Comfort wirkte sofort; Wärme strömte ihm in die Glieder, und sein Schädel glühte von innen. Er erwischte noch den Schluss der Nachrichten: Man schilderte skizzenhaft eine
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