Zeit der Eisblueten
Flugzeugkatastrophe in Europa, als sei Europa ein kleines Land wer weiß wo, so fern und unzugänglich wie Tibet. Es folgte eine nicht enden wollende Reihe von Werbespots. Dafydd hantierte erfolglos an der Fernbedienung herum, als jemand an die Tür klopfte.
»Ein Anruf für Sie, Dr. Woodruff. Leider müssen Sie ihn in der Rezeption entgegennehmen«, rief Tillie durch die Tür.
Dafydd zog seine Schuhe wieder an und ging nach unten. Verdutzt fragte er sich, wer wohl wissen konnte, dass er hier war. Tillie reichte ihm den Hörer und zog sich diskret hinter eine Tür mit der Aufschrift »Privat« zurück.
»Dafydd Woodruff.«
»Dafydd Woodruff«, erklang die unverwechselbare Stimme von Sheila Hailey. »Du hättest mir freundlicherweise mitteilen können, dass du herkommst.«
»Ich dachte, das sei das Mindeste, was du erwartet hast – ein sofortiger Besuch zur Übernahme meiner väterlichen Pflichten. Woher weißt du, dass ich …«
»Gut, es gibt Pflichten «, lachte sie gequält, »aber du brauchtest nicht hierherzukommen. Das habe ich dir doch in meinem Brief mitgeteilt.«
»Ich lasse mir nun mal nichts vorschreiben.« Dafydd spürte, wie sich die Feindschaft, die er ihr gegenüber empfand, wie Abwasser in einem verstopften Rohr staute. »Hier bin ich, und ich würde die Kinder gern so schnell wie möglich sehen.«
»He, immer schön langsam. Ich meine, dass wir uns vorher treffen und miteinander sprechen sollten.«
»Wo und wann willst du dich mit mir treffen?«
»Nirgendwo in der Öffentlichkeit. Soll ich bei dir vorbeikommen? Zumindest können wir uns dann unter vier Augen unterhalten.«
»Bist du sicher, dass du solch ein Risiko eingehen willst? Nach allem, was du durchgemacht hast«, meinte er sarkastisch. »Du erinnerst dich doch noch, nicht wahr? Die Vergewaltigung und natürlich das Verabreichen von Drogen nicht zu vergessen.« Er biss die Zähne heftig zusammen, denn er wusste, dass es reine Dummheit war, diese Richtung einzuschlagen. Nichts, absolut nichts war dadurch zu gewinnen.
»Oh, hör auf mit dem Mist«, sagte sie verärgert. »Ich habe keine Angst vor dir. Nur Feiglinge verhalten sich so wie du.« Sie hielt inne. »Hör mal«, fuhr sie in sanfterem Tonfall fort, »lass uns miteinander reden … vernünftig.«
»Gut. Dann hier. Wann?«
»Wie wär’s mit jetzt sofort?«
Sie war noch immer schön. Schlanker als in seiner Erinnerung. Ihre ungewöhnlich hohen Brüste saßen etwas tiefer, aber sie waren nach wie vor prachtvoll. Ihr Haar war etwas stumpfer geworden und sah eher orange als rot aus. Die stechenden blauen Augen waren eingesunken, die Lider wölbten sich hoch und zogen sich dann tief hinunter. Sie erinnerten ihn an Greta Garbo. Ein auffälliges Fehlen von Falten im Gesicht und am Hals ließ ihn vermuten, dass sie sich mehrfach hatte liften und straffen lassen. Vielleicht war der getreue Hogg am Werk gewesen, oder Ian, wenn beide noch gesund und munter und hier waren. Sie wirkte noch wie Ende dreißig, obwohl sie nicht viel jünger als er war.
»Du siehst … frisch aus«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen. In der Stunde seit ihrem Telefongespräch hatte er noch ein paar Schluck Southern Comfort getrunken und beschlossen, die Dinge so freundschaftlich zu gestalten, wie es menschenmöglich war.
»Ja, du siehst auch nicht allzu schlecht aus«, erwiderte sie und schüttelte ihm lächelnd die Hand. »Die Reife steht dir. Graue Schläfen sind bei einem Mann immer sehr erotisch, und all das Haar …« Sie begutachtete ihn ungeniert. »Dein Körper sehr straff und keinerlei Ansatz zum Bierbauch. So etwas sieht man bei Männern in deinem Alter hier nicht.«
Er zog den rosa Lehnstuhl für sie heran und setzte sich selbst aufs Bett.
»Aber hallo«, rief sie mit Blick auf das Bett. »Auf eine kitschige Art ist das ziemlich sexy. Bitte denk daran, dass du schon für zwei Kinder Unterhalt zahlen musst.«
»Dein Humor hat sich nicht verändert.« Dafydd lächelte höflich und zeigte ihr die Flasche, aber sie schüttelte den Kopf. Er goss sich noch einen Schluck ein. »Lass uns gleich zur Sache kommen«, sagte er. »Ich möchte die Kinder so bald wie möglich sehen. Nein, ich möchte sie sehen, bevor wir über irgendetwas anderes sprechen.«
»Mein Anwalt meint, dass ich mindestens zweitausend Dollar pro Monat bekommen sollte.«
Er musterte ihre angespannte Miene und fragte sich, ob es ihr wirklich nur um Geld ging. »Tja, weißt du, ich bin etwas irritiert über dein
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