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Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Nicholls
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Ich weiß, ich sollte mich freuen, dass wir zu Dad zurückkönnen, aber ich tu’s nicht.
    Ich fühle gar nichts.
     
    Als Dad kommt, ist er ganz seltsam. Er hält seinen hässlichen Kopf gesenkt und sieht uns nur von der Seite an.
    »Hallo ihr«, sagt er. »Seid ihr so weit?«
    Ich nicke. Hannah sagt: »Wir sind schon seit Stunden fertig.« Sie sieht absolut nicht so aus, als freute sie sich, ihn zu sehen.
    Auch im Auto sind wir eher schweigsam. Dad sagt: »Wie ich höre, habt ihr Probleme gemacht«, und lacht dazu sein nervöses, schnaubendes Lachen.
    »Nein!«, sagt Hannah, was total lächerlich ist. Schließlich hat Grandma ihm ja schon haarklein erzählt, was los war.
    »Ich hab gar nichts gemacht«, sage ich. »Hannah hat das halbe Geschirr aus Grandpas Küche demoliert, und wir mussten unsere Würstchen aus Müslischüsseln essen.«
    »Grandma hat mich geschlagen«, sagt Hannah.
    »Es klingt ganz so, als hättest du es verdient«, sagt Dad.
    »Geschlagen hat sie mich«, sagt Hannah.
    »Das war ja wohl eher ein Klaps«, sage ich.
    Ich weiß, was Hannah denkt. Ich sehe es ihr an. Sie denkt: Mum wäre stinkwütend wegen der Sache. Mum konnte richtig gut wütend werden, anders als Dad.
    »Was stellst du dir vor, was ich da machen soll?«, sagt Dad und lacht wieder sein nervöses Lachen. »Schließlich lebt ihr jetzt bei Grandma. Wenn du ihr Eigentum zerdepperst, hat sie jedes Recht, dich zu bestrafen.«
    »Aber nicht das Recht, mich zu schlagen«, sagt Hannah. »Und bezahlen soll ich den Schaden auch noch! Du bist doch unser Vater! Kannst du ihr das nicht ausreden?«
    Dad wendet den Blick nicht von dem Traktor vor uns. »Nein«, sagt er müde. »Das geht mich nichts mehr an.«
    Hannah und ich sind sprachlos. Jetzt möchte ich ihn schlagen.
    »Wenn wir dich nichts mehr angehen«, sagt Hannah schließlich, »wieso holst du uns dann übers Wochenende nach Hause?«
    Ganz lange denke ich, dass Dad nicht antworten wird. Doch dann sagt er, ohne uns anzusehen: »Weil eure Grandma mich darum gebeten hat.«
     
    Unser Haus sieht nicht mehr nach unserem Zuhause aus.
    Ein muffiger Geruch liegt in der Luft, den ich von früher nicht kenne. Ein Geruch nach alten Socken oder ungelüfteten Schlafzimmern. Auf dem Tisch wächst Schimmel in Bechern und anderem Geschirr, auf dem Boden beim Sofa stehen schmutzige Teller, an denen noch Pizzareste und Saft von Bohnen in Tomatensauce kleben. Auf dem Tisch im Flur stapeln sich Briefe und Papiere und aller möglicher Kram. Der Abfalleimer in der Küche ist so voll, dass der Schwingdeckel sich nicht mehr runterdrücken lässt. Dad hat es anscheinend aufgegeben, den Eimer zu benutzen, aber geleert hat er ihn auch nicht. An einem der Schränke hängt eine Plastiktüte mit Müll.
    »Was ist denn mit dem Haus passiert?«, fragt Hannah.
    Dad antwortet nicht.
    Mein Zimmer ist auch ein einziges Chaos, allerdings habe ich es selbst so hinterlassen. Jemand – vielleicht Tante Rose – hat die schmutzige Wäsche gewaschen, aber alles andere haben sie einfach auf meinem Schreibtisch abgelegt. Schon fühlt sich das Zimmer an, als gehörte es jemand anderem. Ich hole Humphrey aus meiner Tasche und lege ihn aufs Bett, nicht damit er mich tröstet, sondern nur, damit da irgendetwas ist, das sich noch wie meins anfühlt. Erst als ich zum Bücherregal gehe, habe ich wieder das Gefühl, in meinem Zimmer zu sein. Meine Bücher! Tracy Baker und meine große alte Ausgabe von Pu der Bär! Am liebsten würde ich sie alle herausholen und wiederlesen. Wie viele lässt Dad mich wohl mitnehmen zu Grandma?
    Ich glaube nicht, dass wir wieder herziehen.
    »Molly. Molly!«
    Hannah lehnt am Türrahmen.
    »Was?«
    »Er hat nicht mal für uns aufgeräumt. Im Kühlschrank ist lauter verschimmeltes Zeug!«
    Vermutlich sollten wir für ihn sauber machen. Vermutlich gehört das auch dazu, wenn Kinder sich um ihre Eltern kümmern, so wie in dem Film im Fernsehen. Vermutlich müssen wir das ganze Haus in Ordnung bringen, wenn wir je zurückkommen wollen.
    »Hast du Lust, sauber zu machen?«, frage ich.
    Hannah schnaubt bloß verächtlich.
    »Ich will Abendessen«, sagt sie. »Komm mit.«
    Dad sitzt vor dem Fernseher. Er sieht ein Cricketspiel. Die Unordnung scheint er gar nicht zu bemerken.
    »Dad. Dad. Dad!«
    »Was?«
    »Gibt’s irgendwas zu essen?«
    Dad reibt sich die Augen.
    »Pommes frites müssten wir haben. Und Eier gibt’s auch, glaube ich …«
    Wir dackeln hinter ihm her in die Küche. Normalerweise

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