Zeit der Gespenster
Tier von der Universität verheiratet. Pike. Die Leute im Ort hielten ihn für etwas scheinheilig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber er hat Cissy auf Händen getragen. Als wir bei ihnen zu Hause ankamen, nachdem er uns verständigt hatte – tja, ich hatte noch nie einen erwachsenen Mann so weinen sehen, wie ein Baby.« Er schüttelte den Kopf. »Und dass er dann die Pistole gegen sich gerichtet hat, direkt vor unseren Augen …«
»Duley«, sagte Eli sanft. »Spencer Pike hat nicht Selbstmord begangen.«
»Selbstmord? Ach ja, stimmt. Das war bei einer Geiselnahme in einem Postamt in den Fünfzigerjahren.« Er rieb sich die Stirn. »Manchmal … manchmal gerät hier oben alles ein bisschen durcheinander.«
»Ist nicht schlimm.« Eli drehte seine Mütze in der Hand. Vielleicht war das hier ja doch Zeitverschwendung.
»Der Gerichtsmediziner wollte damals das Baby obduzieren.«
Eli wurde hellhörig. »Ach ja?«
»Ja. Und Olivette – das war der Detective-Lieutnant – wollte nicht zulassen, dass das Grab wieder geöffnet wurde. Er hat gemeint, einem Mann wie Spencer Pike sollte man nicht mehr zumuten als unbedingt nötig.«
»Das Baby war also schon begraben, als ihr zum Tatort kamt.«
»Jawohl. Ein Stückchen weiter weg, im Wald. Frische Erde und sogar ein paar Blumen. Pike hat uns erzählt, dass das Kind tot zur Welt gekommen war und seine Frau einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Er sagte, er habe das Baby beerdigt, um es ihr nicht noch schwerer zu machen.«
»Mir hat Pike erzählt, er hätte seine Frau und sein Baby am selben Tag beerdigt.«
»Nein, das weiß ich genau. Ich war auf Cissy Pikes Beerdigung. Es waren nicht viele da – ich und Olivette und ihr Vater und Pike, gerade genug, um den Sarg hinabzulassen. Das Ganze war damals ein ziemlicher Skandal – er wollte sich nicht von den Frauen aus der Gemeinde bekochen lassen, obwohl sein Hausmädchen doch auf und davon war. Er hat Cissy gleich neben dem Grab beerdigt, in dem sein Baby lag.«
»Hat er gesagt, warum er die Polizei erst so spät verständigt hat?«, fragte Eli.
»Ach, das war gar nicht nötig. So wie der nach Alkohol gerochen hat. Hatte sich in der Nacht davor ordentlich volllaufen lassen.« Duley blickte zum Haus. »Ich habe drei Töchter, und ich kann mir nicht mal vorstellen, wie es für mich gewesen wäre, wenn sie tot auf die Welt gekommen wären. Ich denke, Pike wollte ein bisschen Trost in der Flasche suchen. Aber anscheinend hat er sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken … hat nichts davon mitgekriegt, dass jemand ins Haus eingedrungen ist und seine Frau mitgenommen und das Haus demoliert hat. Und als er wieder zu sich kam, war der Vormittag schon halb um. Er hat uns kurz vor der Mittagspause angerufen, zum Glück für mich, weil ich deshalb weniger im Magen hatte, was ich auskotzen konnte, als ich Cissy sah.«
Laut Wesley musste Cecelias Leichnam sehr viel früher abgeschnitten worden sein.
Eli überlegte eine Weile, dann fragte er: »Was wissen Sie noch über Gray Wolf?«
»Gerissener Bursche. Er war ein Zigeuner, müssen Sie wissen – heute würde man sagen, amerikanischer Ureinwohner. Lügen, Klauen, das war für ihn ganz normal. Alle wussten über ihn Bescheid und über seine Familie, und er hatte wegen Mordes gesessen, war gerade erst aus dem Knast gekommen. Pike sagte, dass der Bursche Cissy in den Wochen davor belästigt hatte. Er war verdächtig, weil wir Sachen von ihm am Tatort gefunden hatten. Außerdem hatte sein Alibi eine Riesenlücke. Und als er dann verschwand, da sahen wir unseren Verdacht natürlich bestätigt.«
Eli kratzte sich am Kopf. »Ja, wie ist er denn eigentlich verschwunden?«
Röte stieg dem alten Mann am Hals hoch. »Tja, das … das war eindeutig meine Schuld. Ich war erst eine Woche im Dienst, und ich wollte den Helden spielen. Also bin ich mitten in der Nacht los, ich hab Gray Wolf in einer Kneipe entdeckt und ihn zum Verhör mit aufs Revier genommen. Aber Olivette hat getobt, wir hätten noch nicht genug gegen ihn in der Hand, und ihn aufs Revier zu schleppen würde ihn nur warnen. Wir haben ihn ein bisschen gepiesackt, wie das früher so üblich war, aber er hat nichts gestanden. Olivette hat mich dann beauftragt, ihn zu beschatten …« Duleys Blick glitt über den Garten. »Und er ist mir durch die Lappen gegangen. War von einer Minute zur anderen wie vom Erdboden verschluckt.« Er leckte sich die Lippen, beugte sich vor und flüsterte: »Ich hab ja so meine Theorie,
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