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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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was aus ihm geworden ist.«
    »Da bin ich aber gespannt.« Eli ging ganz dicht an ihn heran.
    »Ich glaube …« Duley legte seine fleckige Hand an Elis Ohr. »Ich glaube, Oswald war nicht allein, als er geschossen hat, da war noch ein zweiter Schütze.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Verstehen Sie?«
    Eli seufzte. »Absolut.«

    Als Ethan aufwachte, war es draußen noch hell. Er schloss die Jalousie wieder und machte die Augen zu, um, wie sein Onkel es ihm beigebracht hatte, zu erspüren, was im Haus los war.
    Seine Mutter war bei der Arbeit, was ihm nur lieb war, weil sie in letzter Zeit eine ganz schöne Nervensäge war.
    »Was ist eigentlich los mit dir?«, hatte Ross sie gestern Abend beim Frühstück gefragt. Und seine Mutter hatte seine Frage so angestrengt überhört, dass sie sich am Herd verbrannt hatte. Sie war in Tränen ausgebrochen und hatte geschrien: »Da siehst du’s, das ist nur deinetwegen passiert.«
    Sie war wirklich nicht ganz normal.
    Ethan schwang die Beine über die Bettkante. Er zog die Sachen von gestern an, die noch auf dem Boden lagen. Er öffnete leise die Tür und schlich über den Flur zum Zimmer seines Onkels. Die Tür war zu, wie die ganze Zeit schon. Er sollte eigentlich auf Ethan aufpassen, aber andererseits sollte Ethan eigentlich schlafen.
    Unten zog sich Ethan Jacke und Mütze über, rieb Gesicht und Hände mit Sonnenmilch ein, weil man alte Gewohnheiten nun mal nicht so schnell ablegt. Dann ging er durch die Seitentür – die quietschte nämlich nicht – nach draußen.
    Die Sonne war wie ein Kuss in den Nacken – unglaublich, wie hell ein Nachmittag sein konnte. Ethan nahm sein Skateboard und trug es unter dem Arm. Er ging die Zufahrt hinunter und bog nach rechts, stellte dann das Skateboard auf die Straße und rollte los. Ein Junge auf einem BMX-Rad überholte ihn, auf dem Kopf einen nach hinten gedrehten Mützenschirm. »Hi«, rief der Junge, als wäre Ethan ein ganz normales Kind.
    »Hi«, erwiderte er, froh über die Begrüßung.
    »Geiles Skateboard. Aber wieso hast du Winterklamotten an?«
    Ethan zuckte die Achseln. »Wieso hast du so eine blöde Mütze auf?«
    Der Junge fuhr einen engen Kreis. »Ich will zum Skateboard-Park. Kommst du mit?«
    Ethan bemühte sich um eine möglichst ausdruckslose Miene, aber es fiel ihm schwer, so real, wie er sich fühlte. Man existierte erst dann richtig in dieser Welt, so wurde ihm jetzt klar, wenn man nach draußen konnte und die Welt von einem Notiz nahm. »Von mir aus«, sagte er gleichgültig und strahlte innerlich vor Freude. »Ich hab grad nichts Besseres vor.«

    Und wenn sie ihn geküsst hätte?
    Nach mittlerweile drei Tagen bekam Shelby die Frage nicht mehr aus dem Kopf, als hätte sie sich wie ein Dorn in ihren Gedanken verfangen. In allen quälenden Einzelheiten durchlebte sie erneut den Augenblick, in dem sie und Eli in einem zu kleinen Raum einander zu nah gewesen waren. Wie seine Haut gerochen hatte, die winzige Narbe, die sie hinter seinem rechten Ohr gesehen hatte. Im Bett liegend, hatte sie überlegt, woher sie wohl stammen mochte.
    Frankie Martine. Bei einer Frau, die so aussah, spielte es keine Rolle, wenn sie einen Jungennamen hatte.
    Eifersüchtig war sie aber ganz bestimmt nicht. Schließlich kannte sie Eli Rochert kaum. Außerdem war romantische Liebe etwas Egoistisches. Und sie hatte sich ohnehin ganz und gar Ethan verschrieben, da war sicherlich nichts mehr übrig, was sie einem anderen hätte geben können.
    Ob Eli und Frankie Martine die letzten zweiundsiebzig Stunden zusammen verbracht hatten?
    Shelby saß am Informationstisch, die Hände über der Computertastatur, als hätte ein Kunde sie nach einem Buch zu einem bestimmten Thema gefragt. Sie fand auf alles eine Antwort. Sie hatte bloß Angst, selbst Fragen zu stellen.
    Aber es war Abendessenszeit, und der letzte Besucher hatte die Bücherei bereits vor zwei Stunden verlassen. Shelby musste noch bis sieben Uhr ausharren, obwohl ihrer Erfahrung nach jetzt niemand mehr kommen würde. Mit einem Seufzer legte sie den Kopf auf den Schreibtisch. Sie könnte ewig hier sitzen bleiben, und weder Eli noch Watson würde hereinkommen.
    Als plötzlich die Glocke über der Eingangstür klingelte, fuhr Shelby in einem letzten Anflug von Hoffnung hoch. »Ach, du bist es«, sagte sie, als Lottie von der Stadtverwaltung mit einem großen, verstaubten Karton hereinschwankte.
    »Na, das nenn ich eine freundliche Begrüßung!«,

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