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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Schreibtisch landeten.
    Und dennoch wollte Rod wissen, ob er dabei war, einem Geist die Heimstatt zu nehmen. Ob die Tatsache, dass alles, was er in letzter Zeit aß, nach Sägemehl schmeckte und dass seine Zahnbürste jeden Abend verschwunden war, irgendetwas mit seinem aktuellen Bauprojekt zu tun hatte.
    »Diese Dinger da …« Rod zeigte auf den Fernsehschirm, wo ein grobkörniges Bild von einem nächtlichen Wald mit blauen Linien und schwebenden Lichtkugeln durchsetzt war. »Sollen die ein Geist sein?« Er entspannte sich innerlich. Was auch immer er erwartet haben mochte, das jedenfalls nicht. Ein paar Funken und Blasen konnten schließlich keinem etwas anhaben. Schon gar nicht das Geschäft gefährden.
    Ross Wakeman war ein Scharlatan, so einfach war das. Er hatte die Gelegenheit gesehen, sich ein bisschen Aufmerksamkeit zu verschaffen, und sich Rod dafür zunutze gemacht.
    »Das ist nicht der eigentliche Geist«, erklärte Wakeman. »Das ist die Wirkung, die der Geist auf die Geräte hat. Auf dem Grundstück sind Taschenlampen ausgegangen, außerdem hab ich diese aufgezeichneten Störungen hier und sehr starke Ausschläge bei Geräten, die Magnetfelder messen.«
    »Mumpitz«, sagte Rod. »Nichts Konkretes.«
    »Nur weil etwas nicht gemessen werden kann, heißt das noch lange nicht, dass es nicht existiert.«
    Plötzlich flog die Tür zum Baucontainer auf. Drei Baggerführer stürmten herein, deren Bagger so reglos dastanden wie schlafende Dinosaurier.
    Einer von den dreien sagte wütend zu van Vleet: »Wir kündigen.«
    »Sie können nicht kündigen. Die Arbeit ist noch lange nicht erledigt.«
    »Scheiß drauf.« Er nahm seinen Schutzhelm ab und warf ihn van Vleet wie einen Fehdehandschuh vor die Füße. »Die machen uns wahnsinnig.«
    »Wer, die?«
    »Die Fliegen«, schaltete sich ein anderer Arbeiter ein. »Die Biester fliegen einem direkt ins Ohr und surren wie wild drin herum.« Seine Hände machten hektische, kreisende Bewegungen.
    »Und wenn man sie verscheuchen will«, fügte der Erste hinzu, »ist nichts da.«
    Der dritte Arbeiter bekreuzigte sich.
    Ross hüstelte, und van Vleet warf ihm einen wütenden Blick zu. »Ich bin sicher, das hat nichts zu bedeuten«, beruhigte er sie. »Ist bestimmt der Wind. Oder Sie haben was mit den Ohren.«
    »Dann ist es höllisch ansteckend; die Abenaki da draußen haben es nämlich auch gehört. Und der Alte hat das Wort buchstabiert, das wir alle gehört haben. C-H-I-J-I-S. Das heißt Baby in seiner Sprache.«
    »Ist doch klar, dass der euch so was erzählt!«, rief van Vleet. »Der will, dass ihr geht. Der will euch Angst einjagen, damit ihr genau das macht, was ihr jetzt vorhabt –nämlich die Arbeit hinschmeißen.«
    Die Männer wechselten Blicke. »Wir haben keine Angst. Aber solange Sie den Geist hier nicht losgeworden sind, müssen Sie sich andere Leute suchen.« Sie nickten zum Abschied und marschierten nach draußen.
    »Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Ross.
    Van Vleet griff zum Telefon. »Ich muss neue Arbeiter finden«, sagte er. »Für so was hab ich keine Zeit.«

    Das Blut lief ihr ins Gesicht.
    Meredith war kaum aus dem Gebäude getreten, als die Flüssigkeit ihr ins Haar klatschte und über Wangen und Hals tropfte. »Wie viele Babys habt ihr heute wieder umgebracht?«, schrie eine der Demonstrantinnen.
    Sie wischte sich die Augen frei. Kein richtiges Blut, bloß roter Saft. Das Institut war nicht so häufig Ziel von Demonstrationen wie die Abtreibungskliniken in der Gegend, aber die Kritik war dieselbe – schließlich gehörte es zu Meredith’ Aufgaben zu entscheiden, welche Embryos leben und welche verbrannt werden sollten, und das konnten die Abtreibungsgegner nicht akzeptieren. »Wir sprechen uns wieder, wenn du unfruchtbar bist«, knurrte Meredith leise und ging dann rasch zu ihrem Auto.
    Meredith erinnerte sich noch gut, dass die Klinik damals nach Metall und Mundwasser roch. Dass das Wartezimmer voller Frauen war, viele blutjung. Dass sie die ersten beiden Bänder hinten an ihrem OP-Hemd zugebunden hatte, bevor sie beschloss, dass sie die Sache nicht durchziehen konnte.
    Was, wenn ihre Schwangerschaft doch nicht so ein kolossaler Fehler war, wie sie glaubte? Was, wenn der Zeitpunkt nicht falsch, sondern goldrichtig war – ein Weckruf, eine Botschaft? Dann würde ihr Baby eben keinen Vater haben, na und? Meredith’ Vater war gegangen, als sie vier Jahre alt war. Danach hatte sie ihn nur noch ein paarmal gesehen. Und doch war sie der

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