Zeit der Gespenster
gebeugt durch den Wald. Der gefrorene, regennasse Boden war glitschig. Plötzlich stieß er gegen jemanden, der genauso zielstrebig in den Wald ging wie er hinaus, und fluchte leise. Doch dann sah er, dass es Lia war, die vor ihm stand.
Das Telefon klingelte, und Eli griff nach dem Hörer. »He«, sagte eine weibliche Stimme. »Wieso bist du denn am Samstagabend zu Hause?«
Er lächelte. »Und wieso arbeitest du noch, Frankie?«
Frankie Martine war Genforscherin und eine alte Freundin von ihm. Sie wohnte inzwischen in Maine, wo Eli sie vor zwei Tagen besucht hatte, um ihr persönlich die Beweismittel im Mordfall Pike zu bringen. Sein Chef hätte niemals zugelassen, dass das Geld der Steuerzahler für DNA-Tests verschleudert wurde, die doch nichts bringen würden, und Frankie hatte ihrem alten Freund den Gefallen nicht abschlagen können.
»Ich bin noch im Labor, weil ich Überstunden für alte Freunde machen muss«, sagte sie.
Eli setzte sich. »Hast du was rausgefunden?«
»Kommt drauf an. Jedenfalls hab ich von den Speichelresten auf der Pfeife DNA nehmen können. Und von den Hautzellen an dem Seil. Offenbar eine Mischung aus zwei eindeutigen Profilen. Die erste Probe, die von der Schlinge, stammt von einer Frau – ich vermute, deinem Opfer. Die zweite, die vom Ende des Stricks, stammt von einem Mann.«
»Volltreffer.«
»Nicht ganz, die DNA stammt von einem anderen Mann als dem, dessen Speichel an der Pfeife war.«
Elis Gedanken überschlugen sich. Falls die Pfeife Gray Wolf gehört hatte und falls Gray Wolf Cissy Pike erhängt hatte, müsste dann nicht auch seine DNA auf dem Seil sein? Und wenn nicht, reichte das, um ihn zu entlasten? Und wenn das nicht seine DNA auf dem Strick war … von wem war sie dann? Von den Ermittlungsbeamten? Von Spencer Pike?
»Hm«, sagte Eli, »und was ist mit dem Medizinbeutel? Mit diesem kleinen Lederding?«
»Ach das«, sagte Frankie. »Da krieg ich irgendwie dauernd falsche Resultate. Ich glaube, da stimmt was nicht mit dem Testablauf. Die Ergebnisse sind einfach komisch, mehr nicht.«
»Wann kannst du mir den Bericht liefern?«, wollte Eli wissen und runzelte die Stirn.
»Je länger du mich am Telefon aufhältst, desto später.«
»Danke, Frankie.«
»Bedank dich nicht zu früh«, sagte sie. »Vielleicht ist dir nicht mehr danach, wenn ich fertig bin.«
Ethan steckte schüchtern den Kopf ins Badezimmer, wo seine Mutter gerade ein Schaumbad nahm. »Komm rein, Eth«, sagte sie lachend. »Du kannst ruhig hingucken.«
Er tat es. Tatsächlich. Nur ihr Kopf ragte aus dem Schaum. »Ich krieg das nicht auf«, sagte Ethan und hielt ihr das Glas Erdnussbutter hin.
»Ich versuch’s mal.« Seine Mutter nahm das Glas, drehte den Deckel, reichte es ihm zurück. »Was machst du denn da unten?«
»Ich mach uns Sandwiches. Für nachher, wenn wir den Film gucken.« Sie hatten irgendeinen Kinderkram à la Disney ausgeliehen. Ethan sah zum Fenster, an dem der Regen herablief. »Echt ätzend, dass wir nicht rausgehen können.«
» Ethan .«
»Trotzdem echt ätzend, auch wenn ich das nicht sagen soll.«
Als es an der Tür klingelte, zuckten sie beide zusammen. Wer kam denn um halb zehn an einem Samstagabend zu Besuch? Ethan sah, wie das Gesicht seiner Mutter so weiß wurde wie der Schaum um sie herum. »Ross ist was passiert«, flüsterte sie und sprang auf.
Ethan wandte sich verschämt ab. Sie zog ihren Bademantel über, wickelte sich ein blaues Handtuch um das nasse Haar und eilte die Treppe hinunter.
Er hätte ihr folgen können. Doch stattdessen konnte er nur an das denken, was er von seiner Mutter gesehen hatte, bevor er wegsah – einen Fuß, der aus dem Schaum auftauchte.
Er wusste nicht, wieso, aber dieses Bild erinnerte ihn an die Nacht, als er mit seinem Onkel auf Geisterjagd gewesen war.
In seinen wildesten Phantasien hätte Eli sich nicht vorstellen können, dass er einmal mit jemandem zusammenarbeiten würde, der auf Geisterjagd ging. Aber Frankies abendlicher Anruf hatte alles verändert. Die DNA des angeblichen Mörders hatte sich nicht auf dem Strick gefunden – dafür aber die DNA von jemand anderem. Eli brauchte mehr Hintergrundinformationen. Deshalb wollte er mit jemandem sprechen, der seine historischen Lücken füllen konnte. Und das war Ross Wakeman.
Eli stand auf der Veranda, auf deren Metalldach der Regen trommelte, und klingelte ein zweites Mal. Wakeman hatte ihm seine Telefonnummer und Adresse dagelassen, »nur für den Fall«, so hatte er zu
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