Zeit der Hingabe
schüchterne Jane Pagett, die züchtig die Augen niederschlug und so tat, als sei nichts geschehen. Sobald die Kutsche vor ihrem Elternhaus hielt, wollte sie ohne einen Blick zurück aussteigen und alles vergessen.
Erneut zog sie den Ring vom Finger. Sie könnte ihn aus dem Fenster werfen, was ihr denn doch als zu große Verschwendung erschien. Immerhin hatte der Dieb sich großer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, als er ihn entwendet hatte.
Andererseits hatte er ihr den Ring bei seinem Kuss heimlich an den Finger gesteckt, als sie zu blind und berauscht war, um ihn in seinen Besitz zu bringen.
Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Retikül und wickelte den kostbaren Schmuck darin ein, alles unter dem Schutz der Decke, damit Mrs Grudge nichts davon bemerkte.
Ihre Begleiterin hatte sie sehr freundlich behandelt, auch wenn sie eine Lügnerin war. Sie könnte ihr den Ring schenken und es ihr überlassen, das Schmuckstück dem Dieb zurückzugeben, was sie vermutlich nicht tun würde, aber das sollte Janes Sorge nicht sein. Ihre Sorge galt vielmehr ihrer Begegnung mit Mr Bothwell, nachdem sie London überstürzt verlassen hatte. Er würde ihr Vorhaltungen machen. Wenn das Schicksal ihr allerdings gnädig war, hatte er gar nichts von ihrer heimlichen Reise erfahren.
Unmut stieg in ihr auf. Im Grunde genommen war sie mit Mr Bothwell nicht glücklich und wäre erleichtert, wenn er die Verlobung löste.
Aber er würde die Verlobung nicht lösen, was immer sie sich hatte zuschulden kommen lassen. Er war zu sehr auf seinen untadeligen Ruf bedacht und scheute die Konsequenzen, die ein solcher Schritt nach sich ziehen würde. Ein Gentleman gab einer Dame nicht den Laufpass.
Außerdem war er ihre einzige Chance auf ein eigenständiges Leben, wenn auch nicht die beste. Wenn er ihr verzeihen würde, blieb ihr keine andere Wahl, als dankbar dafür zu sein.
Sie hatte letzte Nacht schlecht geschlafen, und nun döste sie mit Mrs Grudges monotoner Stimme im Ohr ein. Als sie unsanft durch einen Ruck geweckt wurde, hatte der Wagen vor dem Haus ihrer Eltern in London angehalten.
Das Portal wurde geöffnet. Offenbar waren ihre Eltern in der Stadt. Jane würde sich erleichtert ihrer Mutter in die Arme werfen und müsste sich um nichts mehr sorgen. Lady Evangelina Pagett würde alles verstehen. Ihr Vater würde ihr zwar Vorhaltungen machen, aber letztlich wären beide Eltern glücklich, ihre Tochter wieder wohlbehalten in die Arme schließen zu dürfen.
Der Wagen schaukelte ein wenig, als der Kutscher absprang und zu ihrer Bestürzung den Wagenschlag öffnete und das Treppchen herunterließ, bevor der Butler dies tun konnte.
„Miss Pagett.“ Seine Stimme war die des Fremden im dunklen Schlafzimmer, rauchig und sinnlich. Keine Spur von Yorkshiredialekt.
Sie hatte vergessen, die Handschuhe überzustreifen. In einem Anflug von Groll und Mut streckte sie ihm die linke Hand entgegen, an dessen Ringfinger wieder Mr Bothwells armseliger Verlobungsring steckte, nicht mehr der glitzernde prächtige Diamant.
Seine Hand umfasste die ihre. Die Berührung brachte ihr Blut in Wallung, und zitternd stieg sie das Treppchen hinunter. Auf dem Kopfsteinpflaster glitt sie auf ihren glatten Ledersohlen aus und geriet ins Wanken. Er gab ihr Halt.
Ihr aufkeimender Mut festigte sich. Was würde Miranda tun? schoss es ihr wieder durch den Sinn. Sie straffte die Schultern und sah ihm direkt in die Augen. „Sie waren sehr freundlich, Jacobs“, bedankte sie sich höflich. „Allerdings lassen Ihre Fahrkünste zu wünschen übrig. Nehmen Sie das für Ihre Mühen.“ Und sie reichte ihm das Taschentuch mit dem darin eingewickelten Diamantring.
Er grinste verwegen und steckte das Tuch ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. Ob er ahnte, was sich darin verbarg? Es war unwichtig; wenn er einen Blick darauf warf, wäre es zu spät. Der Anblick ihrer Hand hatte ihn keineswegs verwirrt, weder der fehlende Diamant noch der schmale Verlobungsring.
Dennoch wusste sie, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Sie hatte ihn erkannt, als habe sie ihn bei ihrer ersten Begegnung bei hellem Tageslicht gesehen.
In lächelnder Vorfreude näherte sie sich den Steinstufen. Und ihr Lächeln erstarb. Denn in der geöffneten Eingangstür standen nicht ihre freudestrahlenden Eltern.
Es war ihr Verlobter, der sie mit finsterer Miene erwartete.
Jane verharrte eine Schrecksekunde lang. Jacobs warf einen Blick zum Eingang, dann wieder zu ihr. „Zeigen Sie ihm Ihre Angst
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