Zeit der Hingabe
schäbig gekleideten herumlungernden Männer, über den Unrat im Rinnstein der Gasse und die Armseligkeit der Umgebung. Augenblicklich erschien ein grobschlächtiger, wenig vertrauenerweckender bärtiger Kerl, der sie freundlich anlächelte, obwohl ihm einige Zähne im Mund fehlten.
„Sie müssen in der Kutsche bleiben, Miss. Der King will nicht, dass Sie aussteigen. Zu gefährlich für Leute wie Sie. Hier gibt es zu viel Lumpenpack, wenn ich das sagen darf.“
„Und du bist einer davon, Neddie“, ertönte eine derbe Frauenstimme. Hinter dem Hünen erschien eine hübsche Frau mit einem Korb über dem Arm. „Ich bringe ihr etwas zu essen.“
„Der King sagt, ich darf niemanden zu ihr lassen.“
„Glaubst du wirklich, er hat auch mich damit gemeint?“, entgegnete die Frau und drängte sich an ihm vorbei. „Das Mädchen langweilt sich und ist halb verhungert, hab ich recht, Miss?“
Neddie machte widerstrebend Platz, und die Frau kletterte in die Kutsche. „Rufen Sie nach mir, wenn Sie mich brauchen. Ich bleibe in der Nähe“, brummte der Bärtige.
„Danke, das wird nicht nötig sein“, sagte Jane und hoffte, sich nicht zu irren. Die Frau ließ sich auf die Bank plumpsen. Neddie klappte den Wagenschlag zu, und das Innere der Kutsche war wieder in Dunkelheit getaucht.
Nicht lange. Die Frau kramte Streichhölzer aus dem Korb und zündete zwei Kerzen in Eisenhaltern links und rechts an den Seiten an, lehnte sich zurück und musterte Jane neugierig.
„Sie sind ein unscheinbares kleines Ding“, erklärte sie unverblümt. „Na ja, Sie haben hübsche Augen und volle Lippen, Haut und Zähne sind gut, aber sonst ist nichts dran an Ihnen. Und der King hat schon einige der schönsten Frauen von ganz England gehabt. Was findet er nur an Ihnen?“ Bevor Jane eine Antwort parat hatte, stellte die Frau den Korb neben sie. „Ich bin übrigens Gracie, die Wirtin von der Spelunke da drüben. Und ich frage mich, wieso King Donnelly alles aufgeben und einem Emporkömmling wie Jem Marley alles überlassen will. Na ja, Jem hat das Zeug dazu und will schon seit Längerem die Führung übernehmen. Aber dass Jacob so plötzlich alles aufgeben will, gibt mir zu denken. Und ich wollte unbedingt das Mädchen kennenlernen, die ihn dazu gebracht hat.“
Jane starrte die vollbusige Person entgeistert an. „Ich … ich habe ihn zu gar nichts gebracht“, stammelte sie verwirrt.
„Nein, natürlich nicht. Er hat seit einiger Zeit Hummeln im Hintern, das ist mir längst aufgefallen. Und Jem hat es darauf abgesehen, ihm die Herrschaft streitig zu machen. Aber sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als Jacob ihm sagte, er überlasse ihm die Führung. Jem sah aus, als würde er in Tränen ausbrechen. Er hatte sich auf einen Machtkampf gefasst gemacht, und dann ergibt sich der Gegner sang- und klanglos. Nicht, dass Jacob und Jem Feinde wären, Gott behüte. Aber ich kann nur hoffen, dass Jacob keinen Rückzieher macht, denn Jem würde sich nicht so leicht geschlagen geben. Und natürlich haben Sie ihn dazu gebracht. Ihm liegt etwas an Ihnen, sonst würde er Sie nicht bewachen lassen wie einen kostbaren Schatz. Er wäre wütend, wenn er wüsste, dass ich so mit Ihnen rede …“
Jane blinzelte verdattert, während Gracie munter drauflos plapperte in ihrem derben Dialekt, von dem Jane manche Worte nicht verstand. Plötzlich beugte Gracie sich vor und tätschelte Janes Hand. „Sind wohl nicht sehr redselig, wie, Miss Pagett?“ Es schien ihr gar nicht aufzufallen, dass sie Jane überhaupt nicht zu Wort kommen ließ. „Das macht nichts. Jacob wird Ihnen die Zunge schon lösen. In dem Korb ist etwas zu essen. Jacob sagte, Sie haben Hunger. Ich habe auch ein paar Kleider von mir in einen Korb gepackt, die Ihnen obenrum zu weit sein werden. Sie sind ja ein ziemlich schmächtiges Ding. Aber Jacob sagt, dafür sind Sie ziemlich groß. Sind Sie in ihn verliebt?“
Jane hatte sich ihrem Redeschwall ergeben und war nicht auf die plötzliche Frage gefasst. „Wie bitte?“
„Sie haben mich schon verstanden, Miss Pagett. Sind Sie in ihn verliebt? Ach was, dumme Frage. Alle Frauen sind in ihn verliebt. Er muss sie nur ansehen, und schon ist es passiert. Mir erging es nicht anders.“
Jane hätte der Frau gerne gesagt, das gehe sie nichts an, aber dazu fehlte ihr der Mut. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, murmelte sie schließlich zaghaft.
„Machen Sie mir nichts vor, Miss Pagett.“ Gracie umfing Janes Handgelenk mit festem
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