Zeit der Hingabe
Richard der Dritte, er war Hamlet, der auf Rache sann. Sie sah ihn forschend an und fragte sich, wie niederträchtig er tatsächlich war. Ich erdolche ihn, dachte sie und fasste Mut.
„Woran denkst du, mein Schatz? Deine glatte Stirn hat Falten bekommen.“
„Ich dachte gerade an Hamlet“, antwortete sie wahrheitsgetreu.
„Meine schöne, klassisch gebildete Braut! Woran sonst! ‚ Oh lächle nur, verfluchter Schurke ‘“, zitierte er, und sie zuckte innerlich zusammen, weil es ihren Gedanken so nahekam. So war es stets gewesen in der kurzen Dauer ihrer Freundschaft. Ihre Gespräche waren damals in erstaunlich harmonischem Einklang verlaufen. „Aber selbst Claudius bereut seine Untaten. Ich sagte dir schon einmal, ich gleiche eher Richard dem Dritten.“
Ohne wirklich zu wissen wieso, hob sie die Hand und berührte seine vernarbte Gesichtshälfte. „Caliban“, sagte sie leise. „Wirst du mir eines Tages erzählen, wie es passiert ist?“
Einen atemlosen Augenblick war er wie versteinert. Dann wich er einen Schritt zurück. „Ich denke nicht, dass du das hören willst, Mylady“, entgegnete er förmlich. „Es gibt Ergötzlicheres, womit wir unsere Zeit verbringen wollen.“
Sie sah ihn lange an. „Du bemühst dich so sehr, mich davon zu überzeugen, dass du ein Bösewicht bist“, sagte sie leise und vergaß ihr gekünsteltes Lächeln. „Wird dir das nicht lästig?“
„Glaube mir, meine Liebe, es macht mir keine Mühe.“ Seine Stimme klang kalt, seine hellen Augen wirkten unnahbar, eisig. „Wir brechen in einer Stunde auf. Ich habe deiner sogenannten Zofe bereits Anweisungen gegeben. Sei bereit.“
Wenn Jane den Eindruck gehabt hatte, ihre erste Reise nach Norden sei eine rasende Höllenfahrt gewesen, so musste sie sich korrigieren. Jacob Donnellys Kutscher jagte in halsbrecherischem Tempo in stockfinsterer Nacht über die holprige Landstraße, dass sie sich mit beiden Händen an der Lederschlaufe festhalten musste, um nicht durch das Wageninnere geschleudert zu werden.
Die nächtliche Fahrt verlief schweigend. Jacob hatte seine Kleidung gewechselt, hatte sie gefragt, ob sie genügend zu essen bekommen hatte, sich auf der Bank ihr gegenüber zurückgelehnt, die langen Beine von sich gestreckt und war eingeschlafen.
Jane wünschte, sie könnte gleichfalls ein wenig dösen. Sie hatte das Gefühl, bereits seit Ewigkeiten in einer Kutsche eingepfercht zu sein, hätte sich ein gemächlicheres Tempo und eine gelegentliche Rast gewünscht, was ihr nicht gegönnt war.
Sie warf ihrem stummen Reisebegleiter erzürnte Blicke zu. Sie machte sich große Sorgen um Miranda, die offenbar von Feinden umgeben war. Und ich als ihre beste Freundin habe sie im Stich gelassen, dachte Jane bedrückt. Habe nur verträumt an einen Dieb gedacht und an nichts sonst. Andererseits hatte Jane aber auch beobachtet, wie Rochdale Miranda angesehen hatte. Sie kannte liebevolle Blicke, hatte sie zu oft zwischen ihren Eltern bemerkt und war fest davon überzeugt, in den Augen des Earls Liebe erkannt zu haben.
Offenbar hatte sie sich geirrt, wenn er tatsächlich die Absicht hatte, Miranda den Herren des Satanischen Bundes als Geschenk anzubieten oder als Opfergabe oder als Spielzeug … Ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken.
Jacob Donnelly schlief tief und fest, ungerührt vom Schlingern der Kutsche, ungerührt von ihren Nöten. Nichts schien ihn zu stören. Ich könnte auch mutterseelenallein hier drin sitzen, dachte sie betrübt und ungehalten. Wenn er nicht bald aufwachte und ihre Bedenken zerstreute, würde sie einen hysterischen Anfall bekommen.
Der Wagen rumpelte über einen Stein, und sie wurde beinahe von ihrem Sitz geschleudert, aber ihr Reisegefährte rührte sich kaum. Nun hatte sie genug! Sie hatte fast zwölf Stunden in der Kutsche zugebracht, sich nur kurz die Beine vertreten, als die Pferde gewechselt wurden, und nun wurde es bereits Tag. Wenn Jacob tatsächlich einen so gesunden Schlaf hatte, dann tat ihr die Frau leid, die ihn einmal heiraten würde.
Ausgerechnet ich, dachte sie in einem Anflug von Selbstironie. Sie, die unscheinbare, mitleiderregende Jane Pagett. Wütend versetzte sie ihm einen Tritt gegen das Schienbein.
Er rührte sich nicht, schlummerte seelenruhig weiter, während der Wagen dahinbrauste. Was würde passieren, wenn sie ihn zwickte? Sie versetzte ihm einen zweiten Stoß. Und dann ertönte seine schlaftrunkene Stimme aus den Wagenpolstern.
„Stoßen Sie mich nicht,
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