Zeit der Hingabe
gewonnen. Sie hatte ihn mit dem Mund verwöhnt, nicht weil er sie dazu aufgefordert hätte, sondern aus eigenem Wunsch. Nun lag sie in einem verträumten Dämmerzustand neben ihm und strich sanft mit den Fingerspitzen über die Wülste und Furchen, die kreuzweise über seinen Rücken verliefen. „Tun sie dir immer noch weh?“
„Schon seit langer Zeit nicht mehr“, antwortete er, das Gesicht halb im Kissen vergraben.
Sie beugte sich über ihn und hauchte zarte Küsse auf die vernarbte Haut, und er stöhnte wohlig. „Bemüh dich nicht“, murmelte er. „Ich brauche mindestens noch eine Stunde, um mich zu erholen.“
Lachend sank sie in die Kissen zurück, ohne die Hand von ihm zu nehmen. Sie brauchte die Berührung, die Verbindung zu ihm. „Wer hat dir das angetan?“
Sie befürchtete, er würde sich verkrampfen und ihre Hand abschütteln. Aber das geschah nicht. Ihr war, als habe er endlich aufgegeben, gegen sie zu kämpfen, gegen seine Gefühle für sie. Gefühle, die sie stets tief in seinem Herzen vermutet hatte.
„Meine Stiefmutter“, antwortete er nach einer Weile. „Sie war geistig umnachtet. Deshalb wurde Genevieve nach England gebracht. Ihre Großeltern wollten sie nicht bei ihrer Mutter lassen. Da ich keine Verwandten hatte, kümmerte sich niemand um mich.“ Seine Stimme klang gelassen, ohne jede Gefühlsregung.
„Und dein Vater?“
„War bereits tot. Wir lebten auf Jamaika, aber ich glaube nicht, dass es mir in England mit ihr besser ergangen wäre.“ Er wandte ihr sein Gesicht zu. „Weine nicht, Liebste. Das ist alles schon sehr lange her.“ Er wischte ihr mit dem Daumen eine Träne von den Wangen.
„Was ist aus ihr geworden? Deiner Stiefmutter? Was hat sie daran gehindert, dich weiterhin zu misshandeln?“
„Sie hätte mich wahrscheinlich irgendwann umgebracht, aber glücklicherweise ging sie eines Nachts ins Wasser und ertränkte sich. Ohne meine Hilfe, wohlbemerkt. Ich war damals erst zwölf. Ich hätte sie liebend gern getötet, aber ich war ein schmächtiges Bürschchen, zu klein für mein Alter. Ich bekam nie genug zu essen.“
„Oh, Lucien“, entfuhr es ihr in namenlosem Schmerz.
Er war so blitzschnell über ihr, dass sie nicht wusste, wie ihr geschah. „Keine Tränen mehr, kleine Hexe. Du bringst mich um den Verstand.“
„Gütiger Himmel, nur das nicht.“
Er drückte ihr lachend einen Kuss auf die Stirn, schwang sich aus dem Bett und begann, seine Kleider aufzusammeln, wobei Miranda sah, dass die Narben sich auch über sein Gesäß und seine Oberschenkel zogen.
„Kein schöner Anblick“, sagte er, ohne sich umzudrehen.
„Ganz im Gegenteil. Für mich gibt es keinen schöneren“, widersprach sie und schluckte gegen ihre Tränen an.
„Wenn du meinst. Ist dir eigentlich klar, dass die Tür die ganze Zeit offen stand? Wer weiß, wann das Schloss repariert wird. Ich fürchte, du musst zu mir in die rosaroten Prunkgemächer ziehen.“
Sie kicherte, und er lächelte sie liebevoll an. Dabei hatte sie das seltsame Gefühl, er wolle Abschied nehmen. Ein törichter Gedanke. Sie wusste, dass er sie liebte und seine Gefühle nicht länger leugnete. Es gab nichts zu befürchten.
Sie kuschelte sich in die warme Bettdecke. „Wohin gehst du?“
„Ich habe etwas zu erledigen. Ich würde viel lieber bei dir im Bett bleiben und dich verwöhnen, aber du brauchst ein wenig Ruhe. Ich wecke dich zum Dinner.“
„Und wie wirst du mich wecken?“
„So verrucht wie möglich.“
Sie lächelte verträumt. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Sie war nur nicht mehr daran gewöhnt, glücklich zu sein. „Komm bald zurück“, sagte sie schläfrig. Und noch bevor er das Zimmer verlassen hatte, war sie eingeschlafen.
Lucien verließ seine roséfarbenen Gemächer, nachdem er gebadet und die Kleider gewechselt hatte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen beim Gedanken an seine unersättliche Geliebte. Hatte er sich in sie verliebt, als er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte? Oder war es schon früher geschehen, als sie sich in seinen Armen ausgeweint und hinterher wieder das geistlos plappernde Gänschen gespielt hatte?
Miranda war eine furchtlose, starke Frau, und er war ein Narr gewesen, sie zu unterschätzen.
„Sie haben Besuch, Mylord.“ Der Diener vor seiner Tür verneigte sich ehrerbietig, und Luciens heitere Stimmung verflog. Das Anwesen war zu abgelegen für überraschende Besucher, und er wusste augenblicklich, wer ihn sprechen wollte. Er hatte gehofft,
Weitere Kostenlose Bücher