Zeit der Hingabe
Richtung Süden geritten, als ihn die Wahrheit traf wie ein Keulenschlag.
Er hatte sich in sie verliebt. Er, der nicht an die Liebe glaubte, war von einer Frau, an der nichts dran war, verzaubert worden. Sie hatte ihm die Flügel gestutzt, die Haare geschoren wie Delilah ihrem Samson. Sein Leben, sein ganzes Sinnen und Trachten drehte sich plötzlich um diese Frau.
Er war ein Narr gewesen, sie zu unterschätzen. Aber nun, da die Krankheit diagnostiziert war, gab es ein einfaches Heilmittel. Er musste sie loswerden, sie zurück nach London schicken oder auf den Kontinent. Besser noch auf seine Ländereien in Jamaika und sie endgültig aus seinem Leben verbannen und vergessen. So jedenfalls konnte und durfte es nicht weitergehen. Zuvor würde er sie heiraten, damit sie versorgt wäre, und danach wollte er sie nie wiedersehen.
Jäh riss er sein Pferd herum und jagte zurück nach Pawlfrey House. Er war ein Schuft, ein Bösewicht, er war niederträchtig und gemein, aber er war kein Feigling. Als er das Haus erreichte, stand die Sonne hoch am Himmel. Ihre Strahlen ließen die sanften Wellen des Sees aufblitzen wie Jacobs gestohlene Diamanten. Wenn er diese Frau nicht schleunigst loswurde, würde alles der Vergangenheit angehören, dachte er düster, während er dem Stallburschen die Zügel übergab und ihn anwies, dem Gaul, den er bis zur totalen Erschöpfung getrieben hatte, abzureiben und ihm eine Extraportion Hafer zu geben. Keine nächtlichen Streifzüge mehr, keine Kumpanei mit lichtscheuen verwegenen Burschen wie Jacob Donnelly, keine Lustbarkeiten im Satanischen Bund. Darüber war er eigentlich froh, hatte die albernen Rituale stets mit beißendem Spott übergossen, lediglich an den ausschweifenden Orgien teilgenommen, die ihn mittlerweile gleichfalls ermüdeten.
So wie die Dinge lagen, konnte nur Miranda sein Verlangen stillen, keine andere Frau konnte ihn reizen. Und er hatte das bedrückende Gefühl, dass sich daran nichts ändern würde. Die einzige Lösung bestand darin, sie weit weg über den Ozean zu verfrachten.
Er eilte die breite Marmortreppe hinauf, fest entschlossen, sie mit seinem Entschluss zu konfrontieren. Zu seiner Verblüffung war die Tür zu ihrem Schlafgemach tatsächlich verschlossen.
Aber dieses alte vermoderte Haus beherbergte ein ganzes Arsenal altertümlicher Waffen, deren er sich bedienen konnte. Er marschierte den Flur entlang, riss eine Streitaxt vom Haken an der Wand. Vor der verschlossenen Tür holte er weit aus und ließ das geschmiedete Blatt mit voller Wucht auf das Schloss niedersausen. Holz splitterte krachend, der Messingknauf fiel ihm klirrend vor die Füße.
Er stieß die Tür auf, trat ein und schlug sie mit dem Fuß zu. Ohne Schloss schwang die Tür wieder auf und traf ihn im Rücken. Kurzerhand packte er einen Stuhl und stellte ihn davor.
Dann näherte er sich Miranda.
Sie war erschrocken aus dem Schlaf hochgefahren, zog die Decke bis zum Kinn hoch und starrte ihm entgegen. Lucien stand mit zornrotem Gesicht im Zimmer, mit beiden Fäusten eine Streitaxt umklammert, und sie dachte eine Sekunde lang, er wolle ihr den Schädel spalten – ein Gedanke, der sie völlig kalt ließ.
Dann ließ er die Waffe sinken, lehnte sie gegen den Tisch und näherte sich ihr. „Deine Tür war verschlossen“, erklärte er leichthin.
„Um dich auszusperren“, entgegnete sie seelenruhig.
„Du siehst, wozu das führt.“
Sie sollte affektiert lächeln, aber dieses Talent hatte sie in dem Augenblick verloren, als Lucien sie der Willkür des Fettwanstes in der Bockmaske überlassen hatte. Finster funkelte sie ihn an. „Was willst du?“
„Mit dir reden.“
„Ich aber nicht mit dir.“ Nichts war mehr von ihren koketten Flötentönen geblieben. Diese Maske hatte sie für immer abgelegt.
„Bin ich denn nicht mehr dein allerliebster Schatz?“, fragte er mit triefendem Spott und ließ sich auf einem zierlichen Sessel nieder, ganz wie ein distinguierter Gentleman, der seine Geliebte zu einem Plauderstündchen in ihrem Boudoir aufsuchte.
Ihre Miene blieb eisig. „Du bist ein bösartiges, hinterhältiges, durch und durch verkommenes Monster. Geh mir aus den Augen!“
„Aber ich habe dich gerettet“, wandte er zu seiner Verteidigung ein.
„Keine Ahnung, warum, und es interessiert mich nicht. Übrigens, falls du etwas aus deiner Waffensammlung vermisst: Ich habe einen Dolch gestohlen und ihn in diesem schrecklichen Haus zurückgelassen.“
Er wirkte belustigt. „Du irrst.
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