Zeit der Hingabe
etwas mehr Zeit zu haben, um Miranda die niederträchtige Wahrheit über Christopher St. John schonend beizubringen. Aber er hatte ihr von Anfang an gesagt, dass er ein Bösewicht war. Was konnte sie also anderes von ihm erwarten? Aber als er dann St. Johns einfältiges Gesicht unter den Gästen in Bromfield Manor entdeckt hatte, war Übelkeit in ihm aufgestiegen.
„Wo ist er?“
„Er wartet im grünen Salon, Mylord. Sein Name ist …“
„Ich kenne seinen Namen. Ich bin in ein paar Minuten bei ihm.“ Und er ging zurück in sein Zimmer, um seine Pistole zu holen.
Christopher St. John hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. Er war immer noch ein gut aussehender Mann, wenn man sein fliehendes Kinn außer Acht ließ, an dem nunmehr der Ansatz eines Doppelkinns sichtbar wurde. Er pflegte sich elegant zu kleiden, bei näherem Hinsehen erkannte man allerdings den billigen Stoff und die minderwertige Schneiderarbeit. Er war in finanziellen Nöten, wie Lucien mit Genugtuung feststellte.
Was ihn allerdings störte war die Tatsache, dass St. John keine servile Haltung ihm gegenüber einnahm. Er begrüßte seinen Besucher mit einem kalten Lächeln. „Behalten Sie Platz“, murmelte er beim Betreten des Salons und stützte sich schwerer auf seinen Stock, als nötig gewesen wäre. „Welche Überraschung, Sie zu sehen, alter Freund, da ich Sie im Ausland vermutete. Die hohe Summe, die ich Ihnen bezahlt habe, sollte gewährleisten, dass Sie sich nie wieder in England blicken lassen. Damit lag ich wohl falsch.“
„Ich bin knapp bei Kasse, Rochdale“, entgegnete er mit einem schmierigen Lächeln. „Wie Sie wissen, pflege ich einen gehobenen Lebensstil, den Sie mir zweifellos weiterhin ermöglichen werden, in Anbetracht der Tatsache, dass Sie die kleine Schlampe wohl behalten wollen.“
„Sie versuchen es mit Erpressung?“
„Aber ich bitte Sie, wir wollen nicht von Erpressung sprechen, alter Freund. Nennen wir es lieber Ihre Rückversicherung. Sie soll doch nicht wissen, dass Sie mich für ihre Entführung und Entjungferung bezahlt haben, und ich werde die Angelegenheit selbstverständlich mit der nötigen Diskretion behandeln. Ich brauche lediglich ein Darlehen.“
Ich sollte den schleimigen Mistkerl erschießen, dachte Lucien seelenruhig. Aber der Schuss würde Miranda alarmieren, und dann wäre die Hölle los. „Und auf welche Summe soll sich dieses Darlehen belaufen, mein Lieber?“
St. John beäugte ihn scharf. Er musste genau überlegen, welche Summe er forderte, sie durfte nicht zu niedrig sein, um ihn nicht als Bittsteller dastehen zu lassen, aber auch nicht zu hoch, sonst würde Rochdale sich sträuben.
„Ich will Ihnen die Sache leichter machen“, fuhr Lucien mit sanfter Stimme fort. „Ich denke, mit fünftausend Pfund verlassen Sie England und können irgendwo auf dem Kontinent ein sorgenfreies Leben führen.“ Daran glaubte er allerdings keine Sekunde. St. John würde nach spätestens einem Jahr wieder auftauchen und weitere Forderungen stellen. Der Nichtsnutz hatte einen teuren Geschmack.
St. John war hin- und hergerissen. Einerseits überstieg die genannte Summe bei Weitem den Betrag, den er im Sinn hatte, andererseits sah er die Chance, Rochdales Angebot zu erhöhen.
„Ich schlage Ihnen vor, mein Angebot anzunehmen“, erklärte Lucien sanft, da St. John immer noch in Gedanken Berechnungen anstellte. „Bevor ich meine Meinung ändere und Ihnen eine Kugel durch den Kopf jage.“
St. John erschrak. „Das würden Sie nicht tun. Wie wollen Sie Ihrer Dame einen Mord erklären?“
„Mit einiger Mühe. Aber denken Sie tatsächlich, ich sei nicht in der Lage, sie mir gefügig zu machen?“
St. Johns Blick irrte unstet umher. Nackte Angst kroch ihm über den Rücken, und Lucien wusste, dass er gewonnen hatte.
Dennoch versuchte St. John, sich aufzuplustern. „Aber dafür gibt es keine Garantie, nicht wahr, Mylord? Und ich denke …“
„Ich denke, Sie sollten aufhören zu denken, das Angebot annehmen und verschwinden, ehe ich es mir anders überlege.“
„Wollen Sie etwa behaupten, Sie hätten fünftausend Pfund hier im Haus herumliegen?“
„Ganz recht. In Münzen, mein Junge.“ Er warf ihm einen prallen Lederbeutel zu, den St. John einen Moment abtastete und dann die Faust darum schloss.
Er erhob sich, seine Stirn glänzte schweißnass. „Hat mich gefreut, handelseinig mit Ihnen zu werden, Mylord“, erklärte er in einem letzten Anflug von Großspurigkeit.
„Ihre
Weitere Kostenlose Bücher