Zeit der Hingabe
einen anderen Korridor einbogen. In einem Winkel saß Jane ohne Maske mit einem seltsam entrückten Gesichtsausdruck. Bei Mirandas Erscheinen hellte sich ihre Miene in namenloser Erleichterung auf, und sie kam ein wenig unsicher auf die Beine.
„Gehen Sie zu ihr“, forderte der Earl sie auf und nahm ihren Arm aus seiner Ellbogenbeuge. „Ich bezweifle, dass Mr Bothwell damit einverstanden wäre, wenn seine zukünftige Gemahlin dem Skorpion vorgestellt würde. Ich hole Sie morgen um vier Uhr ab.“
„Aber …“ Er hatte sich bereits entfernt und tauchte im Gedränge der Gäste unter. Miranda eilte Jane entgegen und schlang die Arme um die zitternde Freundin.
„Jane, Liebste, was ist geschehen? Du wirkst verstört.“
Jane lachte ein wenig schrill. „Du wirst mir nicht glauben, was ich dir erzähle. Aber das muss warten, bis wir zu Hause sind. Lass uns von hier verschwinden.“
Miranda warf einen letzten Blick über die Schulter, doch Lucien de Malheur war nicht mehr zu sehen. Jane wirkte verwirrt und glücklich wie eine frisch verliebte junge Frau.
Miranda ahnte, dass im Leben ihrer Freundin etwas Bedeutendes vorgefallen war.
7. Kapitel
D u hast was getan?“, entfuhr es Miranda in höchstem Erstaunen.
Daheim angekommen hatten die Freundinnen ihre Dominocapes und Tanzschuhe abgestreift und es sich vor dem Kamin im Salon bequem gemacht.
„Ich doch nicht! Er war es, der mich geküsst hat“, verteidigte sich Jane tief errötend. „Und ich muss gestehen, es war himmlisch. Du hast mir nie gesagt, dass Männer mit der Zunge küssen.“
„Tatsächlich?“, fragte Miranda zweifelnd. „Ich entsinne mich nicht, dass St. John so etwas getan hätte, aber der Kerl war ziemlich grob und unbeholfen bei der ganzen grässlichen Angelegenheit. Willst du mir etwa erzählen, du hast dich von einem Juwelendieb küssen lassen und nicht um Hilfe gerufen?“
„Ich musste ihm versprechen, nicht zu schreien“, gestand sie mit einem scheuen Lächeln. „Jedenfalls war er kein Gentleman, das habe ich an seiner Sprache erkannt. Aber er war sehr groß und stark und gleichzeitig unendlich sanft und zärtlich beim Küssen.“ Jane hatte einen verträumten Glanz in den Augen, und Miranda wurde das Herz schwer.
„Liebes, ich bin zwar dagegen, dass du diesen dünkelhaften Langweiler Bothwell heiratest, aber du kannst dich unmöglich in einen Juwelendieb verlieben. Das ist dir doch klar, oder?“
Jane wirkte völlig konfus, dann nickte sie. „Ja, gewiss. Aber du bist auch ausgerissen und hast dein Leben verändert.“
„Nicht gerade zum Besseren. Ich bin zwar mit meinem Leben zufrieden, aber dir wünsche ich mehr Glück. Hat dieser Flegel dich denn aufgefordert, mit ihm durchzubrennen?“
„Nein, natürlich nicht“, wehrte Jane ab und fügte beinahe wehmütig hinzu: „Und wenn, hätte ich abgelehnt. Es war nur so … so …“
„Aufregend?“, schlug Miranda vor, doch Jane schüttelte den Kopf. „Beängstigend? Verwirrend? Amüsant? Verlockend?“
„Berauschend“, erklärte sie schwärmerisch und strich sich das Haar aus der Stirn.
Miranda erstarrte. „Was zum Teufel ist das ?“
„Was?“, fragte Jane verständnislos.
„An deinem Finger. Das ist nicht Bothwells armseliger Verlobungsring.“
Jane schaute auf ihre Hand und sprang mit einem Entsetzensschrei auf. Am Ringfinger ihrer linken Hand prangte ein sehr großer, sehr blitzender Brillantring. Hastig zerrte sie daran, um ihn vom Finger zu ziehen. Vergeblich.
„Oh nein“, stöhnte sie.
„Wo ist Bothwells Ring?“
Jane streckte beide Hände mit gespreizten Fingern von sich, aber der billige Ring war verschwunden. „Oh, mein Gott, was soll ich bloß tun, Miranda? Wie soll ich ihm das je erklären?“
„Schau in deinen Taschen nach.“
Fahrig kramte sie in ihren eingenähten Rocktaschen und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. „Gottlob, hier ist er ja.“
„Nun müssen wir den da nur noch loswerden.“
„Und ihn seiner rechtmäßigen Besitzerin zurückgeben“, fügte Jane hinzu und zog wieder an dem Ring.
„So wird das nichts. Wenn du daran zerrst, schwillt der Finger nur an. Wir versuchen es mit warmem Wasser und Seife, dann gleitet er herunter. Ich vermute, der Ring gehört der Duchess of Carrimore.“
„Natürlich. Was sonst sollte ein Juwelendieb stehlen? Wir müssen ihn zurückbringen!“ Jane sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
„Das wird dir eine Lehre sein, dich von einem Juwelendieb
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