Zeit der Hingabe
ständig ausgehst und dir die Nächte um die Ohren schlägst … Verdammt, es ist eiskalt hier drin! Warum lässt du kein Feuer machen?“
„Weil ich sparsam bin“, entgegnete sie.
„Wieso? Die Familie hat genügend Geld …“
„Ich habe euch genug Unannehmlichkeiten bereitet“, wehrte sie trotzig ab und wünschte, Hausschuhe angezogen zu haben. Es war mühsam, sich mit eiskalten Füßen edelmütig zu geben.
„Ich muss mit dir reden, Miranda. Du kannst nicht …“
„Du kannst nicht hier stehen und mir Vorhaltungen machen, während ich friere“, fiel sie ihm ins Wort, da sie ahnte, was kommen würde. „Geh nach unten und frühstücke erst mal ordentlich. Jane wird dir Gesellschaft leisten, bis ich angezogen bin.“
„Jane?“ Er horchte auf. „Was macht die denn hier? Ich denke, sie ist vollauf mit Vorbereitungen zur Hochzeit mit dem alten Bore-well beschäftigt.“
„Er ist nicht alt. Und sein Name ist Bothwell .“ Insgeheim amüsierte sie sich über die Verballhornung, die aus Bothwell einen „gepflegten Langweiler“ machte. „Und Jane ist in der Tat sehr beschäftigt. Ihre Eltern sind verreist, deshalb macht sie Einkäufe für ihre Aussteuer und leistet mir Gesellschaft.“
Brandon beäugte sie argwöhnisch. Er war kaum achtzehn, aber er kannte sie sehr gut. „Ich dachte, du kannst Bore-well genauso wenig leiden wie wir. Woher dieser Sinneswandel?“
Sie nahm ihn beim Arm und schob ihn durch die offene Tür in den Flur. „Warte, bis ich angezogen bin, dann reden wir, du Schlingel.“
„Einverstanden. Aber glaube bloß nicht, du kommst ungeschoren davon. Ich bin nur die Vorhut. Der Rest der Familie wird dir auf die Pelle rücken, sobald sie erfahren, was du treibst.“
Sie wusste Bescheid. Ohne danach zu fragen, wusste sie, was ihre Familie in Aufruhr versetzte. Lucien hatte sie gewarnt. Mit dem Skorpion befreundet zu sein, kam selbst für eine Ausgestoßene nicht infrage.
„Wir reden später“, sagte sie und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Im Umdrehen erhaschte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild. Sie war nicht von einem draufgängerischen Juwelendieb geküsst worden, aber sie schien ebenso von innen zu leuchten wie Jane nach dem Maskenball. Mit jedem Tag, den sie mit Lucien verbrachte, schien sie aufzublühen. Ihre Wangen waren rosig überhaucht, ihre Augen strahlten. Verflixt!
Bei Miranda war das alles natürlich völlig anders. Lucien war ein Freund, der erste Freund nach langer Zeit, und sie hatte nicht die Absicht, ihn kampflos aufzugeben. Brandon mochte ihr noch so viele Vorhaltungen machen und ihr einreden, wie tadelnswert der Umgang mit ihm war, sie würde sich keine Vorschriften machen lassen.
Sie klingelte nach Martha, um sich beim Ankleiden helfen zu lassen, und wählte ein taubengraues Vormittagskleid mit dunkelgrauen, militärisch anmutenden Applikationen, dazu graue Lederstiefeletten. Die Zofe frisierte ihr das Haar zu einem strengen Nackenknoten, und Miranda sah dem bevorstehenden Kampf zuversichtlich entgegen. Sie schätzte und liebte ihre Familie von ganzem Herzen, die ihr stets Rückhalt gegeben hatte. Aber in dieser Hinsicht würde sie sich nicht dreinreden lassen.
Mit klopfendem Herzen und feuchten Händen betrat sie das Frühstückszimmer und schalt sich kindisch. Ihr stand eine Unterredung mit ihrem heiß geliebten jüngeren Bruder bevor, nicht mit einem Ungeheuer.
Jane saß bereits mit Brandon am Frühstückstisch und stocherte lustlos auf ihrem Teller herum, während Brandon sich über einen Berg Rührei und Räucherhering hermachte.
„Da bist du ja endlich“, begrüßte er seine Schwester und erhob sich, wie es seine gute Erziehung gebot. „Wieso hast du so lange gebraucht?“
Sie gab ihm mit einem Wink zu verstehen, sich wieder zu setzen und trat an die Anrichte, wo das Frühstück in Wärmebehältern bereitstand. Beim Anblick von Essen rebellierte ihr Magen, dennoch legte sie sich eine kleine Portion auf. „Warte noch einen Moment, Bruderherz. Wenn du mir Vorhaltungen machen willst, brauche ich eine Stärkung.“ Sie nahm Platz und biss in eine trockene Scheibe Toast, um Zeit zu gewinnen.
„Ganz recht, ich mache dir Vorhaltungen.“ Brandon schob seinen Teller von sich, was Miranda noch mehr vom Ernst der Situation überzeugte. Es sollte einiges heißen, wenn Brandon einen vollen Teller verschmähte. „Was um Himmels willen denkst du dir eigentlich dabei? Wie lange geht das schon so? Jane meinte, seit mindestens zwei Wochen.“
Sie
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