Zeit der Hingabe
Und wie der Zufall es will, ist sie Miranda Rohans beste Freundin.“
„Zu schade, dass wir keine Doppelhochzeit feiern können“, kommentierte Jacob ungerührt.
Lucien fluchte. „Wie viele Frauen hast du momentan? Ein halbes Dutzend?“
„Keiner habe ich die Treue geschworen“, antwortete Jacob heiter. „Und keine erhebt Ansprüche an mich. Ich bin frei wie ein Vogel.“
„Belasse es dabei“, knurrte Lucien verdrießlich. „Mein Leben ist schon kompliziert genug.“
„Und wie kommen deine Pläne voran? Ist die Lady verliebt in dich?“
„Anzunehmen. Und sie ist wesentlich zugänglicher, als ich vermutet hätte, was mir letztendlich nur zugutekommt. Ich werde die Dinge etwas rascher vorantreiben als geplant.“
„Man hat dich mit ihr gesehen. Die Dienstboten haben darüber gesprochen. Es wird nicht lange dauern, bis ihre Familie davon erfährt, und dann bricht die Hölle los.“
„Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich wünschte nur, das könnte ich auch von dir behaupten.“
„Mein Gott, Lucien! Es war nur ein harmloser Kuss.“
„Halte dich in Zukunft von ihr fern! Bist du sicher, dass sie dein Gesicht nicht gesehen hat?“
„Es war stockfinster. Ich konnte sie sehen, aber sie mich nicht. Ach, Lucien …“, er wiegte den Kopf hin und her und lehnte sich im Sessel zurück. „Sie war entzückend und schmeckte … so süß.“
Die nächsten Tage waren beinahe zu schön, um wahr zu sein, dachte Miranda zurückblickend. Allein das hätte ihr eine Warnung sein müssen. Nach einem behüteten unbeschwerten Leben hatte sie schließlich die bittere Erfahrung machen müssen, wie unvermutet das Böse geschehen konnte. Wer hätte damals gedacht, dass ihr Flirt mit Christopher St. John in einer Katastrophe enden würde.
Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, ihr Leben als Außenseiterin zu verbringen, gemieden von einstigen Freunden, ein Leben ohne Liebe und Glück, wenngleich ein beschauliches und friedvolles Dasein.
Aber plötzlich gab es Lucien de Malheur. Kein schöner, kein zuvorkommender Mann, und dennoch hatte seine weiche melodische Stimme sie verzaubert, sein geistreicher Humor und sein beißender Spott gegen jene, die es verdienten. Sie fand Gefallen daran, wie er sich über die Kleingeister lustig machte, die verächtlich auf ihn herabsahen. Und sie las etwas in seinen hellen, wachen Augen, das sie nicht zu ergründen wagte, etwas, das sie mit einem seltsam wehmütigen Sehnen erfüllte, gegen das sie längst gefeit zu sein glaubte.
Sie unternahmen gemeinsame Ausritte, lachten und plauderten unbeschwert und scherten sich nicht um missbilligende Blicke. Sie lud ihn zu sich zum Tee ein, sehr zu Cousine Louisas Faszination und Janes Verwunderung. Er drängte sie, ihn Lucien zu nennen, und er machte ihr extravagante Komplimente, über die sie herzlich lachte. Er führte sie in die Oper, küsste ihr galant die Hand, und sie fragte sich, ob sie nach all dem Leid, das sie durchgestanden hatte, nach dieser langen Zeit noch fähig wäre, sich zu verlieben.
Und sie hoffte inständig, dass es nicht geschehen würde, denn sie wusste, dass sie sich vergebliche Hoffnungen auf ihn machen würde.
8. Kapitel
M iranda wurde durch lautes Pochen an ihrer Tür aus dem Tiefschlaf gerissen, setzte sich erschrocken auf und zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch.
Niemand würde es wagen, in ihr Haus zu stürmen und polternd gegen ihre Tür zu klopfen, es sei denn, die Polizei wäre hinter dem gestohlenen Ring her, den Jane nach einer Woche vergeblicher Versuche immer noch nicht vom Finger hatte streifen können. In diesem Fall wollte sie sich unter der Bettdecke verkriechen und sich taub stellen.
„Mach die Tür auf, Schwester!“, forderte die laute Stimme ihres jüngsten Bruders Brandon vom Flur her. „Ich will nicht den ganzen Tag hier rumstehen!“
Miranda hätte ihn liebend gern draußen rumstehen lassen, aber er machte einen solchen Lärm, dass sie ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde. Widerwillig schlüpfte sie aus dem Bett, huschte fröstelnd auf nackten Füßen über das kalte Parkett und riss die Tür auf, als er gerade wieder mit der Faust dagegenhämmern wollte.
„Ich habe nicht abgeschlossen“, erklärte sie milde.
„Ich pflege nicht ungebeten in das Schlafzimmer einer Dame zu stürmen“, erklärte er mürrisch, während er genau das tat. „Du hättest bei deiner Morgentoilette sein können.“
„Ich hätte auch schlafen können.“
„Was mich nicht wundern würde, da du
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