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Zeit der Hingabe

Zeit der Hingabe

Titel: Zeit der Hingabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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fordern“, sagte sie. „Er hat ein lahmes Bein.“
    „Er ist ein Krüppel? Das wusste ich nicht.“
    „Ich würde ihn nicht wirklich einen Krüppel nennen.“ Miranda wandte sich an Jane. „Weißt du etwas über unsere Familie und den Earl?“
    „Nein. Wie sollte ich?“ Sie zerkrümelte Weißbrot zu kleinen Bröckchen auf ihrem unberührten Teller. Der Diamantring an ihrem Finger funkelte. „Wenn ich etwas wüsste, hätte ich es dir doch erzählt. Ich sage dir alles, weil ich dir vertraue.“ In ihrem Blick war ihre unterschwellige Bitte deutlich zu lesen.
    „Das weiß ich, wir würden einander niemals verraten“, versicherte Miranda und wandte sich an ihren Bruder. „Dann gibt es nur eine Antwort: Ich werde ihn selbst fragen.“
    Brandon, der gerade einen Schluck Tee nahm, verschluckte sich wieder. Miranda begab sich zur Tür, fest entschlossen, ihre Absicht augenblicklich in die Tat umzusetzen. „Ich bin mir sicher, dass du viel Lärm um nichts veranstaltest, und dulde nicht, dass jemand das Opfer übler Nachrede wird, wie es mir erging. Wenn du mir sagen kannst, was Lucien de Malheur verbrochen hat, um unserer Familie zu schaden, höre ich dir vielleicht zu.“
    „Er hat nichts getan.“
    Miranda verharrte mit der Hand an der Türklinke. „Er hat nichts getan, um unserer Familie zu schaden?“, wiederholte sie verständnislos.
    „Die Gefahr besteht darin, was er uns antun könnte .“
    Ihre tiefe Verachtung spiegelte sich deutlich in ihrer Miene. „Eine solche Einstellung hätte ich nicht von dir erwartet, Brandon“, sagte sie streng und rauschte aus dem Zimmer.
    Der Tag war grau und windig, aber in ihrer hellen Empörung brachte Miranda nicht die Geduld auf, die Kutsche anspannen zu lassen. Hastig legte sie die graue Pelerine um, setzte den Hut auf und stürmte aus dem Haus, die Half Moon Street entlang, und ihr Diener hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten.
    Es war ein ziemlich weiter Weg bis zum Cadogan Place, doch sie war lange Fußmärsche gewohnt, die sie auf dem Lande beinahe täglich unternahm. Außerdem brauchte sie Bewegung an der frischen Luft und Zeit, um ihren Gemütsaufruhr zu besänftigen. Wie konnte ihre Familie es wagen, sich derartig in ihr Leben einzumischen? Man war also nur bereit, ihr Rückhalt zu geben, solange sie ein abgeschiedenes Klosterleben führte. Nun, da sie einen neuen Freund gewonnen hatte, schien sie wieder einmal die Grenzen des Erlaubten überschritten zu haben.
    Wenn Brandon nicht bereit war, ihr Auskunft zu geben, wusste sie, wo sie Antworten erhalten würde. Dabei hatte der Earl ihrer Familie gar nichts angetan – es war die absurde Befürchtung, er könnte etwas im Schilde führen. Genau, wie die feine Gesellschaft befürchtete, Miranda könnte einen schlechten Einfluss auf die Töchter haben, die einst ihre Freundinnen gewesen waren. Nur Lord und Lady Montague hatten ihr die Treue gehalten und die Freundschaft mit ihrer Tochter Jane gebilligt, wobei Lady Montague darauf beharrt hatte, was immer Miranda verbrochen hatte, habe sie selbst zehnmal schlimmer verbrochen, worüber Miranda herzlich gelacht hatte.
    Evangelina Montague würde ihr den Umgang mit Lucien gewiss nicht aufgrund einer haltlosen Vermutung verbieten. Nur ihre wichtigtuerischen Brüder mischten sich plötzlich in ihr Leben ein, aber sie würde diese lächerliche Angelegenheit im Keim ersticken. Lucien wollte ihr keinen Schaden zufügen. Dieser Verdacht war absurd und läppisch.
    Der Skorpion. Ein völlig grotesker Name für ihn. Er war nicht gefährlicher als eine Feldmaus. Nein, dieser Vergleich wurde ihm nicht gerecht. Er war nicht gefährlicher als ein Fuchs. Die ganze Sache war lächerlich und grausam, und sie wollte sie schnellstens aus der Welt schaffen.
    Der eilige Fußmarsch in der kühlen Morgenluft hatte ihre Wangen gerötet, ihre Empörung allerdings nicht zu mindern vermocht. Als sie das riesige düstere Haus am Cadogan Place erreichte, keuchte ihr Diener atemlos, dem der Schweiß übers Gesicht lief. „Sie brauchen mehr Bewegung, Jennings“, tadelte sie ihn und stieg die Stufen zur schwarz lackierten Pforte hinauf. Er stimmte ihr schnaufend zu und blieb zwei Schritte hinter ihr stehen, als sie den schweren Messingklopfer bediente.
    Das Portal wurde augenblicklich von einem Diener geöffnet, einer kummervoll dreinblickenden, dürren Jammergestalt in schwarzer Livree. Offenbar war Schwarz die Lieblingsfarbe des Skorpions. Und erst jetzt keimte eine leise Beklommenheit in ihr

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