Zeit der Hingabe
der vermutlich ihr galt. Miranda erhob sich so anmutig, wie ihr mit vor Kälte steifen Gliedmaßen möglich war.
Das Haus erschien ihr riesig, als sie dem traurigen Leopold durch lange dunkle Korridore folgte, in der Hoffnung, er bringe sie in den behaglichen kleinen Salon, in dem sie mit Lucien so angenehme Plauderstunden verbracht hatte. Aber er öffnete die Tür zu einem ihr fremden Raum. Hier war es gottlob wärmer, im Kamin prasselte ein Feuer, die Einrichtung bestand aus dunklem, schwerem Mobiliar. Auch hier schwarze Samtportieren und schwache Beleuchtung.
Lucien de Malheur saß hinter einem großen Schreibtisch und schrieb. Bei ihrem Eintreten hob er den Blick, aber in der schlechten Beleuchtung konnte sie sein beschattetes Gesicht, umgeben von der langen, dunklen Haarmähne, kaum erkennen. Er machte keine Anstalten, sich zu erheben.
„Gott sei Dank“, rief sie erleichtert und eilte zum Kamin. „Ich bin völlig durchgefroren! Lassen Sie denn Ihre Salons nicht beheizen?“
Er zog eine Braue hoch. „Leopold hat Sie in ein kaltes Zimmer geführt.“
Das klang nicht nach einer Frage. „Ja, das hat er. Vermutlich ahnte er nicht, dass Sie mich so lange warten lassen.“
„Höre ich da etwa einen Vorwurf?“
Etwas stimmte nicht. Seine Stimme klang beinahe spöttisch, irgendetwas war anders an ihm. Seine Zurückhaltung verstärkte ihre Befangenheit.
Aber sie weigerte sich, sich einschüchtern zu lassen. „Ganz recht“, antwortete sie pikiert. „Ich laufe durch die ganze Stadt, weil ich das dringende Bedürfnis habe, mit Ihnen zu sprechen, und Sie sperren mich stundenlang in einen Eiskeller.“
„Eine Stunde“, korrigierte er sie sachlich. „Die Dinge haben sich schneller entwickelt als vorgesehen und zwangen mich, einige wichtige Vorkehrungen zu treffen, bevor ich Sie empfange.“
Miranda verschlug es die Sprache. Dies war nicht der charmante Mann, mit dem sie sich glänzend unterhalten und fröhlich gelacht hatte. Sie hatte einen Fremden vor sich. Die Klatschbasen hatten offenbar recht. Dies war der Skorpion, ein eiskalter Mann, von dem eine tödliche Gefahr ausging.
„Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie beklommen. „Habe ich Sie irgendwie gekränkt?“
„Nein. Setzen Sie sich, Lady Miranda. Ich warte noch auf die Bestätigung einer bestimmten Angelegenheit. Und dann reden wir.“
Sie wandte sich ihm langsam zu. Er war nicht aufgestanden, wie er es sonst immer getan hatte. Vielleicht hatte er Schmerzen im lahmen Bein und war deshalb so förmlich und seltsam …
Nein. Sie wollte sich nichts vormachen und wollte sich nicht setzen wie ein braves Schulmädchen. Sie näherte sich ihm. „Nein, danke. Sie schulden mir eine Erklärung, was hier vorgeht.“
„Setzen Sie sich.“
Sie setzte sich.
Sein schneidender Befehlston zwang sie in die Knie, und sie sank auf den nächsten Stuhl.
Sie beobachtete ihn scharf, während ihr Herz bang klopfte und böse Ahnungen ihr im Kopf herumschwirrten. „Offenbar habe ich mich wie eine Närrin benommen, wie?“, sagte sie mit mühsam beherrschter Stimme.
Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Blick zu heben, und schrieb weiter. „Mehr als einmal, Lady Miranda“, sagte er, erst dann begegnete sein heller Blick dem ihren. „Auf welche Begebenheit beziehen Sie sich?“
„Unsere Freundschaft ist weit davon entfernt, ein Zufall zu sein, hab ich recht?“
„Unsere Freundschaft?“, wiederholte er mit leisem Spott. „Das war alles geplant.“
„Auch der Unfall mit der Kutsche? Oder hat Ihnen der Zufall dabei geholfen?“ Sie verbarg ihre klammen verschlungenen Hände in den Falten ihres Rocks.
„Ich verlasse mich niemals auf Zufälle. Einer meiner Leute machte sich an Ihrem Wagen zu schaffen und sorgte dafür, dass ein Rad zerbrach.“
Das ist ein böser Traum, dachte Miranda verstört, innerlich zu Eis erstarrt, ein Albtraum, aus dem sie gleich zu erwachen hoffte. Aber nein, es war die Realität. „Ich hätte dabei ums Leben kommen können“, entgegnete sie tonlos.
Er zeigte keine Spur von Bedauern. „Höchst unwahrscheinlich, da Sie eine bemerkenswert gute Wagenlenkerin sind. Sie hätten die Kontrolle über die Pferde auch unter ungünstigeren Umständen behalten. Im Übrigen war ich in der Nähe. Wären meine Berechnungen falsch gewesen, hätte ich dennoch erreicht, was ich mir erhoffte.“
„Und was wollten Sie damit erreichen?“
Er legte die Feder beiseite und lehnte sich zurück. „Das Unglück Ihrer Familie“,
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