Zeit der Hingabe
anregend für mich sein. Und ich möchte verhindern, dass unsere Reise Erinnerungen an Ihre erste Entführung in Ihnen weckt.“
„Das geschieht bereits“, entgegnete sie aufbrausend. „Ich werde ein zweites Mal gewaltsam entführt.“
„Aber diesmal werden Sie heiraten“, entgegnete er samtweich.
Und im nächsten Moment war er verschwunden.
9. Kapitel
L ady Jane Pagett hatte keinen guten Tag. Seit dem Kostümfest bei den Carrimores war ihr inneres Gleichgewicht aus dem Lot. Morgens kam sie nur schwer aus dem Bett, wollte sich am liebsten unter der warmen Decke verkriechen und – entgegen Mirandas Ermahnung, den Zwischenfall so schnell wie möglich zu vergessen – an nichts anderes denken als an den Fremden, der sie heimlich geküsst hatte. Sie wollte die Arme um sich schlingen und davon träumen, er streichle und liebkose sie. Jeder Gedanke an Mr Bothwell und seine trockenen, beiläufigen Küsse war ihr lästig. Sie wollte nicht an ihr zukünftiges Leben an seiner Seite denken, wollte von Piraten und Schmugglern träumen und einem unbeschwerten Leben in paradiesischer Freiheit.
Denn in der Brust der bescheidenen Jane schlug das Herz einer Rebellin. Sie sehnte sich nach fernen Ländern, nach aufregenden Abenteuern und leidenschaftlicher Liebe. Stattdessen würde sie Mr Bothwell heiraten, weil kein anderer sie haben wollte.
Sie war hoch aufgeschossen und mager, unscheinbar und schüchtern, verdammt zu einem freudlosen Leben mit einem langweiligen Mann, dabei wünschte sie sich sehnlichst, nur ein einziges Mal ein aufregendes Abenteuer zu erleben. Der verbotene Kuss im Dunkeln hatte ihr einen winzigen Vorgeschmack auf die Fülle eines Lebens gegeben, das ihr verwehrt blieb.
Der Umstand, dass sie den verflixten Diamantring nicht vom Finger brachte, machte alles nur noch schlimmer. Nichts hatte geholfen, weder Seifenlauge noch Entenschmalz oder schiere Gewalt. Das blöde Ding schien mit ihrem Finger verwachsen zu sein, und sie wagte nicht, ihren Eltern mit dem funkelnden Schandmal ihrer Sündhaftigkeit am Finger unter die Augen zu treten.
Wenigstens hatte sie den Mut aufgebracht, Miranda zu bitten, den Earl of Rochdale nach dem Fremden zu fragen. Doch der hatte behauptet, keinen Juwelendieb zu kennen, was sie beinahe geglaubt hätte, wäre er nicht der berüchtigte Skorpion gewesen, dem allerlei Verstrickungen mit Londons Unterwelt nachgesagt wurden. Lord Rochdale glich mit den Narben im Gesicht ja auch einem Piraten, für Janes Geschmack war er allerdings zu Furcht einflößend. Sie sehnte sich nach dem Juwelendieb aus dem dunklen Schlafgemach.
Zu allem Überfluss spürte sie den Anflug einer Erkältung, die sich mit Halsschmerzen und triefender Nase ankündigte. Also beschloss sie, den Tag im Bett zu verbringen und sich von Mirandas umsichtiger Zofe pflegen zu lassen.
Dann aber war Brandon mit einem Heidenlärm ins Haus gestürmt, sie war widerwillig aufgestanden und hatte sich sein Gezeter über eine Missetat anhören müssen, die Lucien de Malheur nicht begangen hatte. Der narbige Earl war ihr zwar ehrlich gestanden unheimlich, und sie hätte Miranda vor ihm gewarnt, hätte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, wie zärtlich er die Freundin ansah, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Mochte Brandon noch so sehr über ihn lästern und ihn als Bösewicht hinstellen, Jane vertraute ihrer Menschenkenntnis und glaubte nicht, dass Miranda etwas von Rochdale zu befürchten hatte.
Stunden später war sie allerdings gezwungen, ihre Meinung gründlich zu ändern. Es war ein nebelverhangener, grauer Tag, und Miranda war empört aus dem Haus gestürmt, ehe Jane ihr anbieten konnte, sie zu begleiten. Brandon hatte sich schließlich verabschiedet, um seinen Club aufzusuchen, und Jane hatte keine Ahnung, ob er im Gästezimmer übernachten wollte oder seine Pflicht erfüllt zu haben glaubte, seine Schwester vor dem Unhold zu warnen, und sich nun den Zerstreuungen des Londoner Nachtlebens hinzugeben gedachte.
Und dann dieser verflixte Ring. Natürlich hatte Brandon ihn bemerkt. „Hat der alte Bore-well dir diesen Diamanten geschenkt?“, hatte er mit einem anerkennenden Pfeifton gefragt. „Der kalte Fisch scheint doch kein so großer Geizkragen zu sein, wie ich dachte.“
Sie hatte natürlich nichts erwidert und konnte nur hoffen, dass Brandon bald vergessen würde, welchen Ring die Freundin seiner Schwester trug. Aber bei ihrer derzeitigen Pechsträhne gab es auch hierfür keine Garantie.
Die Stunden krochen
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