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Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman

Titel: Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Todd Ursula Gnade
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auf dem Fahrersitz und erinnerte sich daran, wie ihm Mary Ellison in die Arme gefallen war, als er die Tür geöffnet hatte. Ihr Körper war schwer gewesen und hatte keine Kraft gehabt, um ihm zu helfen.

    Er dankte Mrs. Channing dafür, dass sie ihn hergebracht hatte, und dann lief er den Hang hinauf, um seine Suche wieder aufzunehmen.
    Im frühen Morgenlicht fand er, was er gesucht hatte.
    Jemand hatte ein Versteck in die Erde gegraben, sich einen sicheren Zufluchtsort auf dieser winterlichen Weide geschaffen, wo im Januar kein Mensch hinkam. Das Versteck war so geschickt verborgen, dass Rutledge es im Dunkeln nicht einmal dann gesehen hätte, wenn er draufgetreten wäre.
    Abgedeckt war dieser Unterschlupf mit einem Gebilde aus altem Holz und Stroh und Erde, von hohen Grashalmen und sogar von Erdbrocken geschützt, die mit Moos bewachsen waren. Rutledge hob die Abdeckung hoch, ohne zu wissen, was ihn darunter erwartete.
    Hamish sagte: »Er ist längst fort.«
    In gewisser Weise war Rutledge froh darüber. Er hatte damit gerechnet, den Mann tot vorzufinden, an einer Wunde gestorben, die er sich selbst zugefügt hatte.
    Wer auch immer es war, er musste im Krieg Heckenschütze gewesen sein. Oder vor dem Krieg Wildhüter. Er wusste genau, wie er das Land für sich nutzen konnte, wie es ihn verbergen und ihn beschützen konnte. Er hätte Maschinengewehrschützen auflauern können, bis sie sich zeigten. Oder Wilderern, die im Schutz der Dunkelheit sein Revier plünderten. Von den Tieren, für deren Schutz er bezahlt wurde, hatte er gelernt, wie man sich tarnte und wie man sich von dem Land nährte. Aber wer war er? Woher war er gekommen? Und wohin war er gegangen?
    Hamish sagte: »Zurück in das Geschäft, wo er die Fußböden gefegt hat.«
    »Vielleicht«, antwortete Rutledge, obwohl er nicht sicher war, ob er es ernst meinte. Schlafende Hunde sollte man nicht wecken.
    Und er fragte sich, was Dr. Fleming, der ihn aus dem Dunkel herausgeholt hatte, wohl von diesem Mann gehalten hätte.

    An einer Wand der Grube war zwischen den Spitzen eines gespaltenen Stocks ein Zettel eingeklemmt.
    Rutledge streckte die Hand nach unten, um ihn herauszuziehen.
    Darauf stand schlicht und einfach: Ich habe mich geirrt.
    Hamish sagte: »Das war verdammt knapp.«
    Rutledge ließ die Abdeckung langsam wieder über die Grube sinken.
     
    Als er den Wagen erreichte, war Mrs. Channing noch dort und wartete auf ihn. An jenem Morgen hatte sie, kurz bevor Hillary Timmons gekommen war, um das Gasthaus für einige Wochen zu schließen, ihre Sachen gepackt und das Gepäck in den Wagen gestellt, um nach London zurückzukehren. Im Grunde genommen war zwischen ihnen kein Wort über ihre Abreise gefallen. Aber Rutledge hatte ihr Gepäck im Kofferraum gesehen.
    Sie blickte auf, als er den Hang hinunterkam, und sah ihm forschend ins Gesicht.
    »Er war fort«, sagte er.
    »Ja. Das hatte ich gehofft. Es muss doch einmal ein Ende finden.«
    Er blieb neben ihrem Wagen stehen und lauschte dem Motor, der im Leerlauf unter der Haube lief. »Ich dachte, Sie steckten vielleicht hinter den Dingen, die mir laufend zugestoßen sind. Sie haben an jenem ersten Abend zu viel gesehen …«
    »Ich weiß, was Sie dachten.« Sie zögerte und sagte dann: »Ich wünschte, ich hätte getan, worum Sie mich gebeten haben, und Mary Ellison zum Abendessen eingeladen. Vielleicht wären die Dinge dann anders ausgegangen.«
    »Nein. Es musste zwangsläufig so ausgehen, wie es ausgegangen ist.«
    »Das kann man nie mit Sicherheit wissen.« Jetzt sah sie ihm in die Augen und hielt seinen Blick fest. »Heiraten Sie dieses
Mädchen in Westmorland nicht, Ian. Sie hat schon genug durchgemacht. Keiner von Ihnen würde allzu lange glücklich sein.«
    Sie legte einen Gang ein und fuhr los. Er blieb allein zurück und sah hinter ihr her.
    Hamish, der sich als Erster wieder fing, sagte: »Du hast ihr kein Wort über Westmorland erzählt.«

 
     
     
    Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2007
    Copyright © 2006 by Charles Todd Copyright © 2007 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

    eISBN : 978-3-641-02959-3
     
    www.heyne.de
    www.randomhouse.de

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