Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Fenster, von denen man auf den Garten hinter dem Haus und den Schuppen blickte.
Er durfte nicht vergessen, sich nach diesem undurchsichtigen Halbbruder zu erkundigen. Wenn Mrs. Melford ihm nichts erzählen würde, könnte er sein Glück bei Dr. Middleton probieren.
Auf dem Rückweg zur Holly Street beschloss Rutledge, einen Blick in die Geschäfte in der Whitby Lane zu werfen. So gelangte er in den Laden des Gemüsehändlers und stieg über einen Korb voller Äpfel aus dem Süden. Ihm fielen die schrumpligen, sauren Äpfel aus dem Lake District wieder ein, wo die Reifezeit
so viel kürzer war und sie nur dazu taugten, Gelee daraus zu kochen.
Auf dem Schild über der Tür stand FREEBOLD UND SOHN, und Rutledge nickte dem Mann zu, der hinter den Kohlköpfen stand. »Mr. Freebold? Oder sind Sie der Sohn?«
»Der Sohn. Mein Vater und mein Großvater, Gott hab sie selig, haben ihren gerechten Lohn erhalten«, erwiderte er freundlich. »Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?«
Rutledge wandte den zwei oder drei Frauen im Laden den Rücken zu, stellte sich vor und sagte: »Ich interessiere mich für Frith’s Wood. Alle erzählen mir, es sei so gefährlich dort. Und doch scheint Constable Hensley freiwillig hingegangen zu sein. Und ich versuche jetzt, jemanden in Dudlington zu finden, der ihn auf dem Weg dorthin gesehen haben könnte.«
»Ich habe von niemandem gehört, der ihn gesehen hat«, antwortete Freebold und sah die Frauen in seinem Laden über Rutledges Schulter an. Anscheinend hatten sie die Köpfe geschüttelt, denn Freebold wandte sich wieder an Rutledge und sagte: »Ganz zu Anfang hieß es, er sei an jenem Tag gesehen worden, als er nach Letherington aufgebrochen ist.«
»Mit seinem Fahrrad?«
»Ja, er ist gern Fahrrad gefahren.« Freebold tätschelte seinen eigenen Bauch und fügte hinzu: »Für mich sind die Zeiten auf zwei Rädern schon lange vergangen, das kann ich Ihnen versichern.«
Hinter seinem Rücken konnte Rutledge eine der Frauen kichern hören.
»Was meinen Sie, was aus dem Fahrrad geworden ist? Man hat mir berichtet, niemand hätte es im Wald gefunden.«
»Das muss noch lange nicht heißen, dass der Constable nicht zurückgekommen und wieder weggefahren ist. Hier in Dudlington war er nicht gerade das, was man überarbeitet nennt. Er hat sich gern eine Stunde Zeit für einen Besuch in den Three Horses in Letherington genommen, wenn sich herausgestellt
hat, dass Inspector Cain nicht in der Nähe war. Er war richtig vernarrt in das Three Horses.«
»Warum ist er nicht ins Oaks gegangen?«
»Vermutlich sind Constable Hensley und Frank Keating nicht besonders gut miteinander ausgekommen«, antwortete Freebold mit einem gewissen Widerstreben. »Aber danach fragen Sie Keating am besten selbst.«
Rutledge bedankte sich bei ihm und ging.
Eine halbe Stunde später betrat er das Three Horses in Letherington, einer ansehnlichen Ortschaft, die im Gegensatz zu Dudlington zwei Kirchen und drei Pubs aufzuweisen hatte. Das Three Horses war das älteste Wirtshaus, verräuchert und mit dunklen Eichenwänden, die mit Erinnerungsstücken an Pferderennen dekoriert waren.
Es stellte sich schnell heraus, dass der Besitzer früher einmal Jockey gewesen war. »Ich habe drei siegreiche Pferde geritten«, sagte er mit Stolz in den Augen zu Rutledge. »Noch dazu echte Derby-Sieger! Josh Morgan, so heiße ich.« Er war ein kleiner, drahtiger Mann mit einem großen Kopf und lebhaften grauen Augen.
Rutledge bestellte ein Bier, und als es gebracht wurde, verwickelte er Morgan in ein Gespräch über seine siegreichen Pferde und fragte ihn dann: »Ich habe gehört, dass Constable Hensley oft hergekommen ist, wenn er in Letherington war.«
»Oh ja, er hat uns häufig mit seiner Gesellschaft beehrt. Ein stiller Mann, es sei denn, er hat von London gesprochen. Dann konnte er eine volle Stunde drauflosreden, ohne sich zu wiederholen!«
»War er ein rechter Frauenheld?«
»Er hat jede angesprochen, aber vor allem, um sich selbst zu bestätigen. Er hat den Frauen - oder mir - nie Ärger gemacht, das muss ich Constable Hensley lassen.«
»Sie haben von dem Pfeil in seinem Rücken gehört?«
»Inspector Cain hat uns berichtet, was passiert ist. Es freut
mich zu hören, dass der Constable noch am Leben ist. Eine grässliche Geschichte! Aber andererseits höre ich immer wieder, vor Frith’s Wood sollte man sich hüten. Ich war nie dort, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht direkt abergläubisch, außer
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