Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
Ruck wieder in die Gegenwart gerissen.
»Verdächtigen Sie sie der Mittäterschaft bei dem Angriff auf Hensley?«, entgegnete er.
Sie kniff die Lippen zusammen. »Also wirklich, Inspector!«
»Miss Letteridge war eine Zeit lang in London. In den ersten Kriegsjahren. Darüber habe ich mit ihr geredet.«
Sie wirkte enttäuscht, als sie sagte: »Sie war eng mit Emma befreundet. Wir haben uns gefragt, ob das etwas mit Ihrem Besuch
zu tun hatte. Gleich nachdem Sie mit Mrs. Ellison gesprochen hatten.«
»Dann haben Sie Emma Mason also gekannt?«
»Jeder kannte sie, Inspector. Sie war ein gescheites, hübsches, liebenswürdiges Mädchen.«
»Was glaubt man in Dudlington, was ihr zugestoßen ist?«
»Sie liegt irgendwo in Frith’s Wood begraben. Das sagen die Leute. Obwohl das Wäldchen durchsucht wurde und man nirgends auf umgegrabene Erde oder andere Hinweise darauf gestoßen ist, dass dort jemand ein Loch in den Boden gegraben hat. Aber schließlich hätte derjenige, wer auch immer es war, bis nach der Suche warten und sie erst hinterher dort verscharren können«, fügte sie makaber hinzu.
Er dachte an die leeren Zimmer in Hensleys Haus und daran, wie einfach es wäre, eine Leiche dort liegen zu lassen, bis sie gefahrlos fortgebracht werden konnte.
Hamish erinnerte ihn an die unverschlossene Haustür.
Das ist wahr. Aber niemand scheint sich weiter vorzuwagen als bis ins Wohnzimmer. Und vor allem ist Hensley unantastbar - er ist Polizist und über jeden Verdacht erhaben , antwortete er stumm. Und dann fragte er laut: »Ich hätte vermutet, die Großmutter würde Emmas Mutter verständigt haben, um sich zu erkundigen, ob Emma dort ist.«
»Die arme Frau, sie weiß nicht, wo sich ihre Tochter aufhält. Sie gibt es zwar nicht zu, aber Mrs. Arundel, unsere Postmeisterin, sagt, dass Briefe mit dem Vermerk unbekannt zurückkommen. Schon seit Jahren.«
»Das bedeutet, dass Emma tatsächlich in London bei ihrer Mutter sein könnte. Und dass Mrs. Mason nicht die Absicht hat, sie nach Dudlington zurückzuschicken.«
Mrs. Melford sah ihn finster an. »Das ist vermutlich wahr.« Aber ihr Tonfall wies darauf hin, dass sie es im Traum nicht glaubte.
Er trank seinen Tee aus und erhob sich, um zu gehen.
»Danke, dass Sie heute Morgen trotz der Verspätung auf mich gewartet haben. Es wird nicht wieder vorkommen.«
Sie ließ seine Entschuldigung unerwidert, wandte sich ab und zog sich in ihre Küche zurück. Auf dem Tisch am unteren Ende der Treppe fand er seine Rechnung und bezahlte sie.
Rutledge lief bis ans Ende der Church Street. Hinter dem Pfarrhaus stand die Scheune, von der aus Ted Baylor seinen Hund hatte bellen hören.
Baylor war jünger, als Rutledge erwartet hatte. Er trug schlammige Stiefel, dunkle Kordhosen und eine dicke Jacke, die seine breiten Schultern betonte. Als der Mann aus London über die Steinfliesen zwischen den Melkständen auf ihn zukam, wo die Kühe Kopf an Kopf standen und ihre Leiber in der kalten Luft dampften, blieb er stocksteif stehen.
»Mr. Baylor? Guten Morgen«, sagte Rutledge. »Ich habe gehört, dass an dem Tag, als auf Constable Hensley geschossen wurde, Ihr Hund angeschlagen und Sie so darauf aufmerksam gemacht hätte, dass in Frith’s Wood etwas nicht stimmt.«
Baylor musterte ihn argwöhnisch. »Richtig.«
»War Ihnen an jenem Tag bereits etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Krähen zum Beispiel, die über dem Feld aufgestoben sind, oder andere Anzeichen dafür, dass dort etwas vorgehen könnte?«
»Krähen habe ich keine gesehen«, antwortete er.
»Vielleicht hat der Hund welche gesehen und deshalb angefangen zu bellen.«
»Ein Jammer, dass Sie ihn nicht fragen können«, gab Baylor zurück.
»Bellt er gelegentlich das Wäldchen an? Weil er die Witterung von Kaninchen aufnimmt …«
»In Frith’s Wood gibt es so gut wie gar kein Leben.«
»Was ist mit Ihrer Frau - oder mit Ihren Kindern, könnten die etwas bemerkt haben?«
»Ich habe keine Frau - und Kinder auch nicht. Mein Halbbruder wohnt bei mir. Und der kümmert sich nicht um das Vieh.«
»Ich würde ihn trotzdem gern selbst fragen.«
Baylor zuckte die Achseln. »Er wird Ihnen nicht aufmachen. Ich habe jetzt zu tun.«
»Einen Moment noch«, erwiderte Rutledge forsch. »Was haben Sie vorgefunden, als Sie in das Wäldchen gegangen sind?«
»Ich habe nichts als Bäume gesehen, und das hat mir gar nicht gefallen. Ich wollte gerade wieder umkehren, als der Hund angefangen hat, mit der Schnauze im Boden zu
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