Zeit der Raben - Ein Inspektor-Rutledge-Roman
vielleicht an den Tagen, an denen Rennen stattfinden, aber ich finde schon, manches sollte man besser auf sich beruhen lassen.«
»War er an jenem Tag in Letherington? Ich habe gehört, er kehrt manchmal im Three Horses ein, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass Inspector Cain ihn hier ertappt. Sonst könnte er dahinterkommen, wie viel Zeit Hensley sich lässt, bevor er sich auf den Rückweg nach Dudlington macht.«
»Er hat sich nicht hier blicken lassen«, antwortete Morgan kopfschüttelnd. »Und das sieht ihm gar nicht ähnlich. Ein Glas für unterwegs hat noch keinem geschadet, hat er gern gesagt. Ein Trinker ist er nicht, Gott bewahre«, fügte er hastig hinzu. »Aber bevor er sich auf den Rückweg gemacht hat, hat er gern ein Bier und manchmal auch zwei getrunken. Am liebsten Ale. Je dunkler, desto besser. Und er hat es gut vertragen. Er hat sich nicht mehr genehmigt als das, was er wegstecken konnte.«
»Worüber hat er in der Regel geredet?«
»Über Rennen. Für Fußball hat er sich auch interessiert, und Manchester hat er inbrünstig gehasst. Deswegen hätte es fast mal eine Prügelei gegeben, als wir einen Mann aus Manchester in der Bar hatten. Der war Lastwagenfahrer. So breit wie ein Kleiderschrank.« Morgan grinste. »Ich bin auf die Knie gefallen und habe gebetet, es möge nicht zu einer Keilerei kommen. Gemeinsam hätten die beiden die ganze Bar zertrümmern können. Aber Constable Hensley hat gesagt, er müsste nach Hause, weil die Alte ihm sonst Ärger macht. Dann ist er gegangen. Ich habe dem Mann aus Manchester ein Getränk ausgegeben, damit er noch ein Weilchen bleibt. Und das bloß, um zu vermeiden, dass sich die beiden irgendwo auf der Straße begegnen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Hensley verheiratet ist«, bemerkte
Rutledge. In dem Haus in Dudlington hielt sich niemand auf. Gab es eine Ehefrau, die er irgendwo versteckt hielt?
Morgan lachte wieder. »Es gibt eine Frau, die keift, wenn er zu spät zum Essen kommt. Er hat immer gesagt, das sei so gut wie verheiratet zu sein, aber ohne den ganzen Zirkus.«
Also Barbara Melford. Sie würde empört sein, wenn sie erfuhr, dass sie als Hensleys »Alte« hingestellt wurde.
»Glauben Sie, dass sich Hensley vor jemandem gefürchtet hat? Oder dass er sich Sorgen gemacht hat, er würde verfolgt?«
»Mir gegenüber hat er das nie erwähnt. Natürlich ist es möglich. Schließlich war er Polizist, nicht wahr? Und die sind ständig darauf aus, allen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Damit wir bloß nicht aus der Reihe tanzen. Hensley war in dem Punkt keine Ausnahme. Das macht einen nicht bei jedem beliebt.«
Keiner der Gäste war hilfreich, obwohl sie alle um Hensley besorgt und wohlwollend zu sein schienen. Ein gewaltiger Gegensatz zu der Einstellung, die wenige Meilen entfernt in Dudlington ihm gegenüber herrschte.
Auf dem Rückweg zu seinem Wagen hörte Rutledge Hamish so deutlich sagen, als sei er ihm auf den Fersen gefolgt: »Das Fahrrad war auf dem Feld versteckt, aber hier ist er nicht angekommen.«
»Das bedeutet«, antwortete Rutledge, »er hat es sich entweder auf dem Weg nach Letherington anders überlegt oder jemand hat ihn abgefangen, bevor er hier angelangt ist.«
»Es ist sehr wahrscheinlich«, sagte Hamish, »dass er gelogen hat und gar nicht hierher wollte.«
»Und jemand hat ihn im Wald erwischt.«
»Das wird er dir nicht sagen.«
Ein Motorrad raste dröhnend vorbei, als Rutledge die Kurbel anwarf, damit der Motor ansprang. Er blickte ihm nach, bis es aus seiner Sicht verschwunden war, und sagte versonnen: »Damit kommt man mühelos herum. Wenn man weite Wege zurückzulegen hat.«
»Ja, aber wo versteckt man es? Das kann man nicht einfach wie ein Fahrrad ins Gestrüpp schieben.«
Aber Rutledge durchforstete sein Gedächtnis nach dem Geräusch eines Motorrads in der Nähe von Beachy Head oder auf der Landstraße nach Hertford. Ohne jeden Erfolg.
»Ja, aber wenn dieser Knabe recht gehabt hat, dieser Tommy Crowell, dann ist der Schütze ein Toter«, wandte Hamish voller Hohn ein.
15.
Wieder einmal stand sein Mittagessen auf der Anrichte im Esszimmer bereit, mit einer Serviette zugedeckt, die mit Mrs. Melfords Initialen bestickt war. Belegte Brote, mit Schinken und einem sehr guten Käse. Ein Glas mit sauren Gurken stand daneben und auf einem Teller lagen Apfelscheiben. Sie sahen ganz nach den Äpfeln aus, die er an jenem Morgen beim Gemüsehändler gesehen hatte.
Rutledge nahm in der Stille Platz und fragte sich,
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