Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Polizeirevier? Das nützt dir überhaupt nichts, weil man dem Cop hier vermutlich befiehlt, dass er an Ort und Stelle bleiben soll, wo er in Sicherheit ist, bis man alles abgesucht hat. Was käme sonst noch in Frage? Irgendein Ort, an dem sich viele Menschen aufhalten, so dass die Polizei alle Hände voll zu tun hätte, um sie rechtzeitig zu evakuieren. Aber du hast es mit einer kleinen Ortschaft zu tun. Wo kommen hier viele Menschen zusammen? In der Kirche vielleicht. Du siehst unten zwischen den Häusern einen Kirchturm aufragen. Aber du kannst nicht bis nächsten Sonntag warten. In der Bibliothek? Vermutlich hält sich dort keiner auf. Von zwei alten Jungfern vielleicht
mal abgesehen, die dort irgendwelche Sachen stricken, ohne die Bücher auch nur eines Blickes zu würdigen. Die konnte ein Mann in null Komma nichts evakuieren.
Außerdem erfordert eine Bombendrohung einen Telefonanruf. Du denkst darüber nach. Von wo aus könntest du anrufen? Denn Anrufe lassen sich zurückverfolgen. Du könntest natürlich zum Flughafen in Portland fahren und von dort aus telefonieren. Ein Anruf vom Flughafen lässt sich auf keinen Fall zurückverfolgen. Aber dann wärst du zum entscheidenden Zeitpunkt weitab vom Schuss. Ein unverfänglicher Anruf, aber nutzlos. Du steckst in der Zwickmühle. Zumal es hier in den verdammten Rocky Mountains, oder wie immer diese verfluchten Berge heißen, weit und breit kein Münztelefon gibt. Und dein Handy kannst du nicht benutzen, weil der Anruf irgendwann auf der Rechnung auftauchen würde, und das liefe auf das Gleiche hinaus wie ein Geständnis vor Gericht. Wen kannst du überhaupt anrufen? Denn deine Stimme darf niemand hören. Das wäre zu auffällig. Zu gefährlich.
Doch je länger du darüber nachdenkst, desto klarer wird dir, dass das Telefon taktisch eine wichtige Rolle spielt. Zumal es einen Menschen gibt, der deine Stimme hören darf. Aber es ist ein mathematisches Problem. Vierdimensional. Es geht um Raum und Zeit. Du musst von hier aus anrufen, im Freien, in Sichtweite des Hauses, aber du kannst dein Handy nicht benutzen. Eine ausweglose Situation.
Sie fuhren aus dem Tunnel und rollten im Verkehrsstrom auf der Route 3 in Richtung Nordwesten, zum Turnpike. Zahllose Lichter funkelten im nächtlichen New Jersey und spiegelten sich auf der feuchten Asphaltpiste, die auf beiden Seiten von Reklametafeln, Neonschildern und dunstverhangenen Natriumdampflampen gesäumt war. Links und rechts der Straße lagen allerlei Gewerbehöfe, hinter denen Industriebauten aufragten.
Die Fernfahrerkneipe, die sie suchten, befand sich im hintersten Winkel eines beim Bau dreier sich kreuzender Straßen übrig gebliebenen Grundstücks. Auf der über der Tür angebrachten Neonreklame einer Brauerei stand MacStiophan ’ s , ein gälischer Name, der, soweit Reacher wusste, so viel wie Stevenson ’ s bedeutete. Es war ein niedriger Bau mit flachem Dach. Die Wände waren mit braunen Brettern verkleidet, und in sämtlichen Fenstern hingen grüne Neonkleeblätter. Der Parkplatz war schlecht beleuchtet und nahezu leer. Reacher parkte den Maxima schräg über zwei Stellplätze unweit der Tür, stieg aus und blickte sich um. Die Luft war kalt. Er ging einmal rund um den ganzen Platz und suchte ihn im schummrigen Schein der Straßenlampen ab.
»Kein Cadillac DeVille«, sagte er. »Er ist noch nicht da.«
Argwöhnisch blickte Harper zur Tür.
»Wir sind ein bisschen zu früh dran«, meinte sie. »Ich glaube, wir sollten warten.«
»Sie können hier draußen bleiben«, sagte er. »Wenn Ihnen das lieber ist.«
»Ich bin schon in schlimmeren Lokalen gewesen«, erwiderte sie.
Reacher konnte sich kaum vorstellen, wo und wann das gewesen sein sollte. Hinter der äußeren Tür befand sich ein etwa zwei mal zwei Meter großer Windfang mit einem Zigarettenautomaten und einer abgetretenen Sisalmatte am Boden. Die innere Tür führte in einen niedrigen, schummrigen Raum, der nach Bier und Rauch stank. Keinerlei Lüftung lief. Die grünen Kleeblätter in den Fenstern tauchten das ganze Lokal in ein fahles, gespenstisch wirkendes Licht. Die Wände waren auch hier mit dunklen Brettern verkleidet und vom Zigarettenqualm dunkel gebeizt. Halbierte Fässer ragten vorn aus der langen, hölzernen Bar, vor der hohe, mit rotem Vinyl bezogene Hocker standen. Ähnliche, aber etwas niedrigere Stühle waren rund um die Tische
verteilt, die aus lackierten Fässern bestanden, auf die man runde Sperrholzplatten genagelt hatte, von
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