Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Sergeant.
Der Sergeant war ein Hüne mit kaffeebraun glänzender Haut und sah genau so aus, wie man sich einen Militärpolizisten vorstellt.
»Besuch für McGuire, Sergeant«, bemerkte Leighton so beiläufig, wie es nur ging. »Das müssen Sie nicht eintragen.«
Reacher zog Mantel und Sakko aus, faltete sie zusammen und hängte sie über den Stuhl des Sergeants. Der Sergeant nahm einen der Schlüsselringe vom Holzbord und ging zur hinteren Tür. Sperrte sie auf, ließ Reacher den Vortritt und schloss sie hinter sich wieder ab. Deutete auf eine Treppe.
»Nach Ihnen«, sagte er.
Es war eine aus Ziegeln gemauerte Treppe mit vorn abgerundeten Stufen. Die Wände zu beiden Seiten waren ebenfalls glänzend weiß lackiert. Das eiserne Geländer hatte man im Abstand von etwa dreißig Zentimetern mit Bolzen im Gemäuer verankert. Unten stießen sie auf eine weitere abgeschlossene Tür. Danach kam ein Korridor, dann wieder eine Tür. Anschließend ein Vorraum, von dem drei verschlossene Türen zu den Zellenblöcken führten. Der Sergeant sperrte die mittlere auf und legte einen Schalter um, worauf die Neonlampen kurz aufflackerten und dann einen etwa zwölf Meter langen und knapp zwei Meter breiten Gang mitsamt den dicken, weiß lackierten Gitterstäben und den vier Zellen, die dahinter lagen, in gleißendes Licht tauchten. Die Zellen waren drei Meter breit und etwa dreieinhalb Meter lang. Vor jeder Zelle befand sich hoch oben an der Wand eine Videokamera. Drei Zellen waren leer, die Gitter zurückgeklappt. In der vierten, der verschlossenen, lag McGuire. Er fuhr hoch, setzte sich auf und blinzelte ins Licht.
»Sie haben Besuch!«, rief der Sergeant.
Unmittelbar hinter der Tür zu dem Zellenblock standen zwei hölzerne Hocker. Der Sergeant nahm einen und stellte ihn vor McGuires Zelle, ging zurück und setzte sich auf den anderen. Reacher würdigte den Hocker keines Blickes. Er blieb vor dem Gitter stehen, legte die Hände auf den Rücken und blickte schweigend durch die Stäbe. McGuire stieß die Decke beiseite und stellte die Füße auf den Boden. Er trug ein olivgrünes Unterhemd und olivgrüne Boxershorts. Er war breitschultrig, über einsfünfundachtzig groß, rund hundert Kilo schwer, etwa fünfunddreißig Jahre alt. Stämmiger Hals, kräftige Arme, stramme Beine. Kurz geschnittene schüttere Haare, kleine Augen, zwei, drei Tätowierungen. Reacher stand ganz ruhig da und betrachtete ihn, ohne etwas zu sagen.
»Wer sind Sie?«, fragte McGuire. Die Stimme passte zu
seiner Statur – tief und grollend, so dass er fast jedes zweite Wort verschluckte. Reacher ging nicht darauf ein. Er setzte auf eine Taktik, die er einst bis zur Vollkommenheit beherrscht hatte. Steh nur da, mach keinen Mucks, sag nichts. Warte einfach ab, bis sie nicht mehr weiter wissen. Kein Kamerad. Kein Anwalt. Wer dann? Warte ab, bis sie ins Grübeln kommen.
»Wer sind Sie?«, fragte McGuire noch einmal.
Reacher ging weg. Er schlenderte zu dem Master Sergeant, bückte sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Hüne zog die Augenbrauen hoch. Ganz bestimmt? Reacher flüsterte erneut. Der Sergeant nickte, stand auf und reichte ihm den Schlüsselring. Ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Reacher hängte den Schlüsselring an den Knauf und kehrte zu McGuires Zelle zurück. McGuire starrte ihn durch die Gitterstäbe an.
»Was wollen Sie?«, fragte er.
»Ich will, dass Sie mich anschauen«, entgegnete Reacher.
»Was?«
»Was sehen Sie?«
»Gar nix«, brummte McGuire.
»Sind Sie blind?«
»Nein, ich bin nicht blind.«
»Dann lügen Sie«, stellte Reacher fest. »Wenn Sie nach wie vor nichts sehen.«
»Ich seh jemand vor mir stehen«, sagte McGuire.
»Sie sehen jemand, der größer ist als Sie und der allerlei Spezialausbildung mitgemacht hat, während Sie in irgendeinem beschissen Materialdepot in irgendwelchen Papieren rumgewühlt haben.«
»Na und?«
»Und gar nichts. Sie sollten sich das nur für später merken, das ist alles.«
»Was soll denn später sein?«
»Das werden Sie schon noch feststellen«, antwortete Reacher.
»Was wollen Sie?«
»Ich will etwas wissen.«
»Was?«
»Ich will wissen, wie blöd ein Scheißkerl wie Sie tatsächlich ist.«
McGuire schwieg einen Moment. Er kniff die Augen zusammen, runzelte die Stirn.
»Sie haben leicht reden«, sagte er. »Dort, wo Sie stehen, zwei Meter vom Gitter entfernt.«
Reacher trat einen betont weiten Schritt vor.
»Jetzt bin ich nur noch einen halben Meter vom Gitter
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