Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
dort, wo das Auspuffrohr nach hinten führt. Die Fahrt ist alles andere als angenehm. Du wirst ziemlich durchgerüttelt. Aber du gehst in Gedanken sämtliche Kurven durch und weißt daher genau, wann sie wieder zu Hause ist. Du hörst, wie der Cop etwas zu ihr sagt. Anscheinend gibt es etwas zu bereden. Dann hörst du, wie jemand mit salbungsvoller Stimme auf sie einspricht. Offenbar ein Pfarrer. Du verkrampfst dich unwillkürlich. Die helle Panik packt dich. Was zum Teufel geht da vor? Was machst du, wenn sie ihn ins Haus bittet? Doch sie wimmelt ihn ab. Du hörst den eisigen Tonfall, mit dem sie ihn anspricht, lächelst im Dunkeln vor dich hin und ballst ein paar Mal vor Freude die Fäuste. Du hörst, wie sie in die Garage fährt, denn mit einem Mal verändert sich das ganze Klangbild. Die Motorengeräusche werden lauter, hallen von Boden, Decke und Wänden wider.
Immerhin denkt sie daran, dass sie den Kofferraum entriegeln
muss. Aber das hast du von vornherein gewusst, denn du hast es ihr eigens eingeschärft. Du hörst ihre Schritte, hörst, wie sie weggeht, die Tür zum Keller öffnet und wieder schließt. Du stemmst den Kofferraumdeckel auf und steigst heraus. Stehst in der Dunkelheit und reckst dich. Reibst dir das Bein, das unter der Hitze gelitten hat. Dann gehst du nach vorn, ziehst deine Handschuhe noch einmal zurecht, setzt dich auf den Kotflügel und wartest.
29
Nach der Landung auf dem Portland International Airport rollte die Maschine nicht wie jede andere Boeing zur Ankunftshalle, sondern blieb auf dem äußeren Vorfeld stehen. Ein Pick-up, auf dessen Ladefläche eine Gangway montiert war, fuhr langsam zu ihr hinaus, gefolgt von einem Minibus. Beide Fahrzeuge waren blitzblank und in den Firmenfarben der Boeing Corporation gespritzt. Während die Besatzung an Bord blieb, um die Computerdaten auszuwerten, wurden Reacher und Harper von dem Minibus zum Taxistand vor dem Flughafengebäude gebracht. Der erste Wagen in der Schlange war ein ramponierter Chevrolet Caprice mit Schachbrettmusterstreifen auf beiden Seiten. Der Fahrer stammte offenbar nicht aus der Gegend, denn er musste erst in der Karte nachsehen, um die Straße in Richtung Osten zu finden, die zu der kleinen Ortschaft an den Hängen des Mount Hood führte.
Sie war gerade mal fünf Minuten im Haus, als die Türklingel schellte. Der Cop war wieder da. Sie schloss die Tür auf und öffnete sie. Er stand auf der Veranda, sagte kein Wort, versuchte sein Anliegen mit einer reumütigen Miene kundzutun.
»Hi«, sagte sie.
Dann sah sie ihn ohne jedes Lächeln oder einen freundlichen Blick an.
»Hi«, erwiderte er.
Sie wartete, wollte, dass er es trotz allem aussprach. Schließlich musste er sich dessen doch nicht schämen.
»Raten Sie mal«, sagte er.
»Was?«
»Darf ich Ihre Toilette benutzen?«
Sie spürte, wie die kalte Luft durch ihre Jeans drang.
»Natürlich«, antwortete sie.
Sie schloss die Tür hinter ihm, damit das Haus nicht noch mehr auskühlte, blieb an Ort und Stelle stehen und wartete, bis er zurückkehrte.
»Angenehm warm hier drin«, bemerkte er.
Sie nickte, obwohl es eigentlich nicht stimmte. Sie achtete darauf, dass es im Haus stets kühl war, so kühl, dass sie es gerade noch ertragen konnte. Wegen des Flügels. Damit er seinen Klang behielt und das Holz nicht austrocknete.
»Draußen im Auto ist es kalt«, sagte er.
»Lassen Sie den Motor laufen«, erwiderte sie. »Drehen Sie die Heizung auf.«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht erlaubt. Ich darf den Motor nicht im Stand laufen lassen. Wegen der Umweltverschmutzung.«
»Dann sollten Sie eine Zeit lang herumfahren, bis Sie sich wieder aufgewärmt haben. Ich bin hier gut aufgehoben.«
Das war eindeutig nicht die Einladung, auf die er gehofft hatte, doch er dachte darüber nach. Dann schüttelte er den Kopf.
»Das kostet mich meine Dienstmarke«, sagte er. »Ich muss hier bleiben.«
Sie schwieg.
»Tut mir Leid, dass ich Sie mit dem Pfarrer behelligt habe«,
fuhr er fort, als wollte er eigens darauf hinweisen, dass er eingegriffen und ihn weggeschickt hatte.
Sie nickte.
»Ich bringe Ihnen eine Tasse heißen Kaffee«, bot sie ihm an. »In fünf Minuten, okay?«
Er freute sich darüber, lächelte schüchtern.
»Danach muss ich aber bestimmt wieder auf die Toilette«, sagte er. »Kaffee treibt.«
»Macht nichts«, erwiderte sie.
Sie schloss die Tür hinter ihm, ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Wartete auf dem Hocker neben den
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