Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
wäre?«
»Dann könnte ich Ihnen möglicherweise helfen.«
Er sprach mit tiefer, sonorer Stimme, einem Tonfall, der
warm und wohltuend klang. Absolut überzeugend. Wie für die Kanzel geschaffen.
»Hat Sie jemand von der Army hergeschickt?«, fragte sie. »Ist das ein offizieller Besuch?«
Er schüttelte den Kopf.
»Leider nein«, antwortete er. »Ich habe mich deshalb schon mehrmals mit den Verantwortlichen überworfen.«
Sie nickte. »Wenn sie uns Beistand anbieten würden, käme das ja einem Schuldeingeständnis gleich.«
»Das ist der offizielle Standpunkt«, erwiderte der Colonel. »Bedauerlicherweise. Es handelt sich also um ein persönliches Anliegen. Ich verstoße sogar gegen ausdrücklichen Befehl, bin sozusagen im Geheimen hier. Aber schließlich geht es um eine Gewissensfrage, nicht?«
Scimeca wandte den Blick ab.
»Wieso kommen Sie ausgerechnet zu mir?«, wollte sie wissen. »Ich bin doch bei weitem nicht die einzige Betroffene.«
»Sie sind meine fünfte Station«, sagte er. »Ich habe mir zunächst all jene vorgenommen, die allein leben. Ich dachte, dort würde mein Beistand vielleicht am ehesten benötigt. Ich bin schon im ganzen Land herumgereist. Manchmal hat es was gebracht, manchmal nicht. Ich möchte mich niemandem aufdrängen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich meine Hilfe anbieten muss.«
Sie schwieg einen Moment. Wirkte kühl und abweisend.
»Nun ja, ich fürchte, in diesem Fall war Ihre Mühe vergebens«, sagte sie. »Ich möchte Ihren Beistand nicht in Anspruch nehmen.«
Der Colonel wirkte weder überrascht noch beleidigt. »Sind Sie sich dessen sicher?«
»Absolut«, antwortete sie.
»Wirklich? Denken Sie bitte darüber nach. Ich habe einen weiten Weg hinter mir.«
Sie ging nicht darauf ein. Warf dem Polizisten lediglich
einen ungeduldigen Blick zu. Er scharrte mit den Füßen, bis sich der Colonel zu ihm umwandte.
»Die Antwort war eindeutig«, sagte er, wie ein Anwalt.
Wieder kehrte Stille ein. Nur der Motor von Scimecas Wagen, der leise vor sich hin tuckerte und Abgaswolken absonderte, die scharf und stechend in der Herbstluft hingen, war zu hören.
»Ich muss Sie jetzt leider darum bitten zu gehen, Sir«, ließ sich der Cop vernehmen. »Wir befinden uns an einem Einsatzort.«
Der Colonel rührte sich eine Weile nicht von der Stelle. Dann nickte er.
»Das Angebot bleibt weiterhin bestehen«, sagte er. »Ich kann jederzeit wieder vorbeikommen.«
Er machte kehrt und ging flotten Schrittes den Berg hinab. Kurz darauf war er hinter der Kuppe verschwunden. Scimeca sah ihm einen Moment nach und stieg dann in ihren Wagen. Der Cop nickte vor sich hin und klopfte zweimal aufs Dach.
»Schönes Auto«, sagte er gedankenverloren.
Sie ging nicht darauf ein.
»Na schön«, sagte der Polizist.
Er ging wieder zu seinem Streifenwagen und setzte mit offener Tür ein Stück zurück. Sie bog in die Auffahrt ein und öffnete mit einem Knopfdruck der Fernbedienung das Garagentor. Sie fuhr hinein und drückte auf die andere Taste. Sah, wie der Polizist vor der Einfahrt Stellung bezog, bevor sich das Tor wieder schloss und sie im Dunkeln saß.
Sie öffnete die Tür, worauf die Innenbeleuchtung anging, zog den Hebel links unter dem Armaturenbrett und entriegelte den Kofferraum. Stieg aus, nahm die beiden Tüten vom Rücksitz und trug sie durch den Keller nach oben in die Küche. Stellte sie auf die Anrichte, setzte sich hin und wartete.
Das Auto hat eine ziemlich flache Karosserie, so dass der Kofferraum zwar lang und breit genug ist, aber nicht allzu tief. Deshalb rollst du dich auf die Seite, krümmst dich zusammen und ziehst die Beine an wie ein Kind im Mutterleib. Du bist mühelos hier hereingekommen. Sie hat sich an deine Anweisung gehalten und den Wagen nicht abgeschlossen. Du hast sie beobachtet, als sie weggegangen ist, zum Supermarkt, und dann bist du einfach wie beiläufig hingeschlendert, hast die Tür auf der Fahrerseite geöffnet und den Hebel gezogen, mit dem der Kofferraum entriegelt wird. Hast die Tür wieder geschlossen, bist nach hinten gegangen und hast den Deckel hochgeklappt. Ohne jede Umstände. Ohne dass irgendjemand etwas bemerkt hat. Du bist hineingestiegen, hast dich eingerollt und den Deckel über dir zugezogen. Unmittelbar unter dem Blech sind allerlei Längs-und Querstreben, an denen man Halt findet.
Du musst eine ganze Weile warten. Doch dann spürst du, wie sie einsteigt, den Motor anlässt. Du spürst, wie es unter deinem Bein heißer wird, genau
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