Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Sie betraut waren.«
Reacher zuckte wieder die Achseln, während er alles noch einmal Revue passieren ließ – die zahllosen Dienststuben in heißen oder kalten Klimazonen, mit großen oder kleinen Schreibtischen, bei Sonnenschein oder bedecktem Himmel draußen vor dem Fenster, die zutiefst verletzten, völlig aufgelösten Frauen, die ihm stammelnd und in allen Einzelheiten ihre Tortur schilderten.«
»Rita Scimeca«, sagte er. »Die war zum Beispiel so ein Fall.«
Blake schwieg, worauf Lamarr nach unten griff und einen dicken Ordner aus ihrer Aktentasche holte. Sie schob ihn Blake zu. Er schlug ihn auf und blätterte ein paar Mal um. Fuhr dann mit dem Finger eine lange Liste entlang und nickte.
»Okay«, sagte er. »Wie war das mit Miss Scimeca?«
»Lieutenant Scimeca«, sagte Reacher, »stationiert in Fort Bragg, Georgia. Die Jungs bezeichneten es als Feuertaufe, sie hat es als gemeinschaftliche Vergewaltigung hingestellt.«
»Und was kam dabei raus?«
»Sie bekam Recht. Drei Mann landeten eine Zeit lang im Bau und wurden anschließend unehrenhaft entlassen.«
»Und was ist aus Lieutenant Scimeca geworden?«
Wieder zuckte Reacher die Achseln. »Zuerst war sie froh drüber. Sie fühlte sich bestätigt. Aber danach stellte sie fest, dass sie bei der Army unten durch war. Folglich hat sie den Dienst quittiert.«
»Wo lebt sie jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Angenommen, Sie würden ihr irgendwo begegnen. Angenommen, Sie wären in irgendeiner Stadt oder sonst wo und begegneten ihr in einem Geschäft oder einem Restaurant. Wie würde sie sich verhalten?«
»Ich habe keine Ahnung. Vermutlich würde sie hallo sagen; glaube ich jedenfalls. Vielleicht würden wir eine Weile miteinander reden, einen trinken gehen oder so was Ähnliches.«
»Würde sie sich freuen, Sie wieder zu sehen?«
»Ein bisschen schon, glaube ich.«
»Weil sie sich an Sie erinnert, weil Sie ihres Wissens nach ein netter Mensch sind?«
Reacher nickte. »So was ist eine elende Quälerei. Nicht nur der Vorfall an sich, sondern auch das ganze weitere Verfahren hinterher. Deshalb muss man als Ermittler Brücken bauen. Man muss Freund und Beistand zugleich sein.«
»Das Opfer betrachtet Sie also als Freund?«
»Wenn man es richtig anstellt, ja.«
»Was würde geschehen, wenn Sie unverhofft bei Lieutenant Scimeca anklopfen würden?«
»Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt.«
»Angenommen, Sie wüssten es. Würde sie Sie einlassen?«
»Weiß ich nicht.«
»Würde sie Sie wieder erkennen?«
»Vermutlich.«
»Und sie würde sich daran erinnern, dass Sie ihr Freund und Beistand waren?«
»Nehme ich doch an.«
»Sie klopfen also bei ihr an, und sie würde Sie einlassen, richtig? Sie macht die Tür auf, sieht einen alten Freund vor sich und bittet ihn herein, bietet Ihnen einen Kaffee an oder irgendwas anderes. Sie reden miteinander über die alten Zeiten und all das, was sich seither getan hat.«
»Möglicherweise«, sagte Reacher. »Vermutlich.«
Blake nickte, sagte aber nichts mehr. Lamarr legte ihm die Hand auf den Unterarm, worauf er sich zu ihr beugte und sie ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er nickte noch mal, drehte sich zu Deerfield um und flüsterte ihm ebenfalls etwas zu. Deerfield warf Cozo einen kurzen Blick zu. Die drei Agenten aus der Zentrale in Quantico lehnten sich einen Moment lang zurück, ganz kurz nur, kaum wahrnehmbar, aber ihre Haltung sagte alles. Okay, wir sind daran interessiert . Cozo starrte Deerfield erschrocken an. Dieser beugte sich vor und schaute Reacher durch seine spiegelnde Brille an.
»Das ist eine ziemlich verfahrene Situation«, sagte er.
Reacher ging nicht darauf ein. Saß bloß da und wartete.
»Was genau ist in dem Restaurant vorgefallen?«, fragte Deerfield.
»Gar nichts ist vorgefallen«, antwortete Reacher.
Deerfield schüttelte den Kopf. »Sie standen unter Beobachtung. Meine Leute haben Sie seit einer Woche observiert. Special Agent Poulton und Special Agent Lamarr sind heute Abend dazugestoßen. Sie haben die ganze Sache mit angesehen.«
Reacher schaute ihn an. »Sie observieren mich seit einer Woche?«
Deerfield nickte. »Seit acht Tagen, genau genommen.«
»Warum?«
»Darauf kommen wir später.«
Lamarr griff wieder in ihre Aktentasche und holte einen weiteren Ordner heraus, schlug ihn auf und nahm ein Bündel Papiere heraus. Vier, fünf zusammengeheftete Blätter. Alle eng beschriftet. Sie warf Reacher ein eiskaltes Lächeln zu, drehte die Blätter um und schob sie ihm zu.
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