Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Der Luftzug erfasste sie und fächerte sie auf. Die Heftklammer scharrte über das Holz, verhakte sich in der Tischplatte, so dass sie genau vor ihm liegen blieben. In dem Text wurde Reacher als das Subjekt bezeichnet. Dort war alles aufgelistet, was er in den vergangenen acht Tagen gemacht hatte, jeder Ort,
an dem er sich aufgehalten hatte. Der Bericht umfasste alles, bis zur letzten Sekunde, und er war genau bis ins kleinste Detail. Reacher blickte zu Lamarrs lächelndem Gesicht auf und nickte.
»Tja, die Beschatter vom FBI sind offenbar ziemlich gut«, sagte er. »Mir ist nie was aufgefallen.«
Wieder Schweigen.
»Was ist also in dem Restaurant vorgefallen?«, fragte Deerfield erneut.
Reacher ließ sich Zeit. Ehrlich währt am längsten , dachte er. Er überlegte hin und her. Schluckte. Dann nickte er zu Blake, Lamarr und Poulton hin. »Die Juraseminaristen hier würden es vermutlich als Rechtsanmaßung bezeichnen. Ich habe eine kleine Straftat begangen, um eine schlimmere zu verhindern.«
»Haben Sie aus eigenem Antrieb gehandelt?«, fragte Cozo.
Reacher nickte. »Ja, das habe ich.«
»Und was soll dann dieses Fangt keinen Krieg mit uns an ?«
»Ich wollte, dass es überzeugend wirkt. Ich wollte, dass dieser Petrosian, wer immer das auch sein mag, die Sache ernst nimmt. Dass er meint, er hätte es mit einer Bande zu tun.«
Deerfield beugte sich quer über den Tisch und zog Lamarrs Überwachungsbericht zu sich. Er drehte ihn um und blätterte darin.
»Demnach gab es keinerlei Kontakte zu irgendjemandem außer Miss Jodie Jacob. Sie leitet aber keinen Schutzgeldring. Was ist mit den Telefonaufzeichnungen?«
»Habt ihr etwa mein Telefon angezapft?«, fragte Reacher.
Deerfield nickte. »Ihren Müll haben wir uns auch vorgenommen.«
»Aus den Telefonaufzeichnungen geht nichts hervor«,
meinte Poulton. »Er hat mit niemandem außer Miss Jacob gesprochen. Er führt ein ruhiges Leben.«
»Stimmt das, Reacher?«, fragte Deerfield. »Führen Sie ein ruhiges Leben?«
»Normalerweise«, sagte Reacher.
»Sie haben also allein und aus eigenem Antrieb gehandelt«, sagte Deerfield. »Ein ums Gemeinwohl besorgter Bürger. Keinerlei Kontakte zu Gangstern, keinerlei Anweisungen am Telefon.«
Mit fragendem Blick wandte er sich an Cozo. »Sind Sie damit zufrieden, James?«
Cozo zuckte die Achseln und nickte. »Muss ich wohl, nehme ich an.«
»Ein besorgter Bürger, richtig, Reacher?«, fragte Deerfield.
Reacher nickte. Schwieg.
»Können Sie uns das beweisen?«, wollte Deerfield wissen.
Reacher zuckte die Achseln. »Ich hätte ihre Waffen mitnehmen können. Wenn ich zu einer Bande gehören würde, hätte ich’s getan. Ich hab’s aber nicht getan.«
»Nein, Sie haben sie in eine Mülltonne geworfen.«
»Ich habe sie vorher unbrauchbar gemacht.«
»Indem Sie den Mechanismus mit Sand und Schotter blockiert haben. Warum haben Sie das getan?«
»Damit sie keiner benutzen kann, falls sie jemand finden sollte.«
Deerfield nickte. »Ein besorgter Bürger also. Sie haben ein Unrecht erkannt und wollten die Sache in Ordnung bringen.«
Reacher nickte seinerseits. »Ich glaube schon.«
»Jemand musste es tun, richtig?«
»Ich glaube schon«, sagte Reacher erneut.
»Unrecht können Sie nicht leiden, stimmt’s?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Und Sie kennen den Unterschied zwischen Recht und Unrecht.«
»Das will ich doch hoffen.«
»Sie sind auch nicht auf die dafür zuständigen Ordnungskräfte angewiesen, weil Sie selbst entscheiden können, was zu tun ist.«
»Normalerweise.«
»Sie vertrauen auf Ihren eigenen Moralkodex.«
»Ich glaube schon.«
Danach herrschte Stille. Deerfield schaute durch das gleißende Licht.
»Und warum haben Sie ihnen das Geld gestohlen?«, fragte er.
Reacher zuckte die Achseln. »Kriegsbeute, vermute ich. Wie eine Art Trophäe.«
Deerfield nickte. »Das fällt ebenfalls unter diesen Moralkodex, oder?«
»Ich nehm’s an.«
»Sie handeln nach Ihren eigenen Regeln, richtig?«
»Normalerweise.«
»Sie würden keine alte Frau überfallen, aber zwei harten Burschen das Geld abzunehmen geht in Ordnung.«
»Ich glaube schon.«
»Wenn sie sich außerhalb dessen bewegen, was für Sie akzeptabel ist, haben sie’s nicht anders verdient, richtig?«
»Richtig.«
»Ein persönlicher Moralkodex.«
Reacher zuckte wieder die Achseln. Schwieg. Stille breitete sich aus.
»Wissen Sie etwas über operative Fallanalyse?«, fragte Deerfield unverhofft.
Reacher zögerte. »Nur das, was
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