Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
häufig von Freunden oder Verwandten, oftmals von Frauen. Sie nehmen kaum am normalen Alltagsleben teil. Telefonieren nicht viel, sind ruhig und geheimniskrämerisch.«
»Sie wissen bestens über Polizeiarbeit Bescheid«, sagte Poulton. »Sie kennen alle möglichen Sachen. Zum Beispiel kaum bekannte Gerichtsbeschlüsse bezüglich der Grundrechte.«
Wieder Schweigen.
»Die operative Fallanalyse, das so genannte Täterprofiling«, sagte Blake, »ist eine exakte Wissenschaft. In den meisten Bundesstaaten misst man ihm inzwischen so viel Beweiskraft zu, dass man aufgrund der dadurch gewonnenen Erkenntnisse jederzeit einen Haftbefehl bekommt.«
»Es gibt keine Fehlschläge«, sagte Lamarr. Sie starrte Reacher an, lehnte sich dann zurück und lächelte zufrieden, zeigte ihre krummen Zähne. Wieder kehrte Stille ein.
»Und?«, fragte Reacher.
»Und jemand hat zwei Frauen umgebracht!«, antwortete Deerfield.
»Und weiter?«
Deerfield nickte nach rechts, zu Blake, Lamarr und Poulton. »Und diese Agenten glauben, dass es jemand wie Sie gewesen ist.«
»Und?«
»Und deshalb haben wir Ihnen all diese Fragen gestellt!«
»Und weiter?«
»Und ich glaube, dass sie völlig Recht haben. Es war jemand, der Ihnen sehr ähnlich ist. Vielleicht waren es sogar Sie.«
4
»Nein, ich war’s nicht«, sagte Reacher.
Blake lächelte. »Das sagen sie alle.«
Reacher starrte ihn an. »Sie sind ja total bescheuert, Blake. Sie haben zwei tote Frauen, das ist alles. Dass beide bei der Army waren, ist womöglich nur ein Zufall. Da draußen laufen Hunderte von Frauen rum, die belästigt und aus der Army rausgeekelt wurden, vielleicht sogar Tausende. Warum stürzen Sie sich ausgerechnet auf diese Verbindung?«
Blake schwieg.
»Und warum auf jemand wie mich?«, fragte Reacher. »Das ist doch ebenfalls bloß reines Rätselraten. Und genau darauf läuft dieser ganze Mist von wegen Täterprofil doch hinaus, stimmt’s? Ihr sagt einfach, jemand wie ich hat es getan, weil ihr denkt , dass es jemand wie ich getan hat. Ohne irgendwelche Beweise oder sonst was.«
»Es gibt keine Beweise«, sagte Blake.
»Der Kerl hat keinerlei Spuren hinterlassen«, warf Lamarr ein. »Und wir gehen folgendermaßen vor. Der Täter war offensichtlich ein schlauer Kopf, deshalb haben wir
Ausschau nach einem schlauen Kopf gehalten. Oder wollen Sie etwa sagen, Sie wären kein schlauer Kopf?«
Reacher starrte sie an. »Es gibt Tausende, die schlauer sind als ich.«
»Nein, es gibt Millionen, Sie eingebildeter Dreckskerl«, sagte sie. »Doch dann haben wir das Netz nach und nach enger gezogen. Ein schlauer Kopf, ein Einzelgänger, der bei der Army war, beide Opfer kannte, ein unstetes Leben führt, unberechenbar ist, eine Person, die zu Brutalität und Selbstjustiz neigt. Damit ließ sich der Kreis noch enger eingrenzen, von ein paar Millionen auf ein paar Tausend, bis schließlich nur ein paar Hundert übrig blieben, dann noch zehn, zwanzig, und am Ende vielleicht nur Sie.«
Schweigen.
»Ich?«, sagte Reacher. »Sie spinnen ja.«
Er wandte sich an Deerfield, der still und teilnahmslos dasaß.
»Denken Sie etwa, ich wär’s gewesen?«
Deerfield zuckte die Achseln. »Nun ja, wenn Sie es nicht gewesen sind, dann war es jemand, der ganz genau Ihrer Beschreibung entspricht. Und ich weiß , dass Sie zwei Menschen ins Krankenhaus befördert haben. Schon deswegen stecken Sie schwer in der Klemme. Was diese andere Sache angeht – damit kenne ich mich nicht aus. Aber das FBI vertraut auf seine Experten. Deshalb beschäftigen wir sie schließlich.«
»Die liegen völlig falsch«, sagte Reacher.
»Aber können Sie das auch beweisen?«
Reacher sah ihn an. »Muss ich das? Gibt’s da nicht so was wie eine Unschuldsvermutung, solange man mir nichts nachgewiesen hat?«
Deerfield lächelte. »Bleiben wir doch bitte auf dem Boden der Tatsachen, okay?«
»Nennen Sie mir genaue Daten«, sagte Reacher. »Sagen Sie mir, wann und wo das passiert ist.«
Wieder Schweigen. Deerfield starrte in die Luft.
»Callan wurde vor sieben Wochen ermordet«, sagte Blake. »Cooke vor vier.«
Reacher dachte nach. Vor vier Wochen war Herbstanfang gewesen, davor Spätsommer. Im Spätsommer hatte er so gut wie gar nichts gemacht. Er hatte sich den Garten vorgenommen. Nach drei Monaten Wildwuchs war er ihm mit Sense, Schere, Harke und allerlei anderem Gerät zu Leibe gerückt. Manchmal hatte er Jodie tagelang nicht gesehen. Sie war mit ihrer Jurisprudenz beschäftigt und außerdem eine
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