Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Haare wieder halbwegs in Ordnung. Dann setzte er sich auf die Bettkante und wartete.
9
Acht Minuten später hörte er, wie ein Schlüssel umgedreht wurde, blickte auf und erwartete Poulton zu sehen. Aber es war nicht Poulton, sondern eine Frau. Sie sah aus, als wäre sie um die Sechzehn, hatte lange, zu einem losen Pferdeschwanz gebundene blonde Haare, ein offenes, braun gebranntes Gesicht und strahlend weiße Zähne. Hellblaue Augen. Sie trug einen Männeranzug, der stark abgeändert war, damit er passte. Dazu ein weißes Hemd samt Krawatte. Kleine schwarze Schuhe mit flachen Absätzen. Sie war über einsachtzig groß, langbeinig und gertenschlank. Absolut atemberaubend. Und sie lächelte ihn an.
»Hi«, sagte sie.
Reacher erwiderte nichts. Starrte sie nur an. Ihre Miene verdüsterte sich, und das Lächeln wurde leicht verlegen.
»Sie wollen also die HGF gleich hinter sich bringen?«
»Die was?«
»Die HGF. Die häufig gestellten Fragen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich irgendwelche Fragen habe.«
»Oh, okay.«
Erleichtert lächelte sie wieder. Sie wirkte dadurch offen und arglos.
»Wie lauten die häufig gestellten Fragen?«, sagte er.
»Ach, Sie wissen schon, das Zeug, das die meisten Typen fragen, die neu hier sind. Es ist eigentlich ziemlich langweilig.«
Sie meinte es ernst. Er sah es ihr an. Aber er fragte trotzdem.
»Was für Zeug?«
Sie verzog das Gesicht, fügte sich aber.
»Ich heiße Lisa Harper«, sagte sie. »Ich bin neunundzwanzig Jahre alt, ja, wirklich. Ich komme aus Aspen, Colorado. Ich bin einsfünfundachtzig groß, ja, wirklich, und seit zwei Jahren in Quantico. Ja, ich verabrede mich mit Jungs. Nein, ich kleide mich so, weil ich es einfach mag. Nein, ich bin nicht verheiratet. Nein, ich habe derzeit keinen Freund, und nein, ich möchte heute Abend nicht mit Ihnen essen gehen.«
Sie beendete ihren Vortrag mit einem erneuten Lächeln, das er erwiderte.
»Tja, wie wär’s mit morgen Abend?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Sie müssen nichts weiter wissen, als dass ich FBI-Agentin bin, und zwar im Dienst.«
»Was machen Sie?«
»Sie beobachten«, sagte sie. »Wo Sie hingehen, gehe auch ich hin. Sie werden unter SU geführt, Status unbekannt, möglicherweise freundlich gesonnen, möglicherweise feindselig.
Normalerweise heißt das, dass jemand aus dem organisierten Verbrechen mit uns handelseinig geworden ist. Sie wissen schon, jemand, der seine Bosse verpfeift. Nützlich für uns, aber nicht unbedingt zuverlässig.«
»Ich habe nichts mit dem organisierten Verbrechen zu tun.«
»Laut unserer Akte könnte es aber so sein.«
»Dann ist die Akte der pure Blödsinn.«
Sie nickte und lächelte wieder. »Ich habe mir Petrosian eigens vorgenommen. Er ist Syrer. Folglich sind seine Rivalen Chinesen. Und die engagieren ausschließlich andere Chinesen. Undenkbar, dass die einen weißen Amerikaner wie Sie einsetzen.«
»Haben Sie irgendjemand darauf hingewiesen?«
»Ich bin mir sicher, dass sie es bereits wissen. Sie wollen nur, dass Sie die Drohung ernst nehmen.«
»Sollte ich sie denn ernst nehmen?«
Sie nickte. Hörte auf zu lächeln.
»Ja, das sollten Sie«, sagte sie. »Sie sollten ständig an Jodie denken.«
»Steht über Jodie ebenfalls was in der Akte?«
Sie nickte erneut. »In der Akte steht alles.«
»Warum ist dann kein Griff an meiner Tür? Aus meiner Akte geht doch hervor, dass ich nicht der Täter bin.«
»Weil wir sehr vorsichtig sind und Ihr Profil gar nicht gut aussieht. Wir werden feststellen, dass der Typ Ihnen sehr ähnlich ist.«
»Sind Sie ebenfalls Profiler?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Pferdeschwanz flog herum. »Nein, ich bin im Bereitschaftsdienst. Für unbestimmte Zeit abgestellt. Aber ich höre genau zu. Zuhören und lernen, stimmt’s? Also gehen wir.«
Sie hielt ihm die Tür auf. Leise fiel sie hinter ihm ins Schloss, als sie zu einem anderen Fahrstuhl gingen. Dieser hatte Bedienungsknöpfe für fünf Untergeschosse, die in
einer Reihe unter den Tasten für die drei oberen Etagen angebracht waren. Lisa Harper drückte auf den untersten Knopf. Reacher stand neben ihr und versuchte, dem Duft ihres Parfüms zu entkommen. Mit einem leichten Ruck hielt der Fahrstuhl an, und die Tür glitt auf. Draußen lag ein grauer, in fluoreszierendes Licht getauchter Korridor.
»Wir nennen diesen Bereich hier den Bunker«, erklärte Harper. »Das war früher unser Atomschutzbunker. Jetzt sitzen hier die Verhaltensforscher.«
Sie führte ihn
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