Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
wenn sie verstehen wollen, was es mit dieser Zeitspanne von drei Wochen für eine Bewandtnis hat. Sie müssten tief schürfen, sehr tief, um zu erkennen, was du
vorhast. Zu tief, als dass sie es schaffen könnten. Je weiter sie vorankommen, desto weniger werden sie es begreifen. Die Zeitspanne führt sie in die Irre. Folglich ist diese Zeitspanne dein Schutz und Schirm.
Aber muss sie weiter eingehalten werden? Vielleicht. Ein Muster will gewahrt werden. An so etwas muss man sich streng halten. Ganz genau. Denn das erwarten sie. Dass man sich genau an ein bestimmtes Muster hält. Das ist typisch für so einen Fall. Dieses Muster ist dein Schirm und Schutz. Es ist wichtig. Folglich solltest du die Frist einhalten. Andererseits vielleicht aber auch nicht. Drei Wochen sind eine ziemlich lange Zeitspanne. Und ziemlich langweilig. Vielleicht solltest du die Sache etwas beschleunigen. Aber nicht zu sehr, sonst könnte die Zeit zu knapp werden. Immerhin sind einige Vorarbeiten erforderlich. Sobald die eine Tat erledigt ist, müsste die nächste vorbereitet werden. Eine Plackerei. Schwierige Arbeit, unter ständigem Zeitdruck. Nicht jeder brächte das fertig. Aber du könntest es natürlich.
Die Fallbesprechung fand eine Etage über Blakes Büro statt, in einem langen, niedrigen Raum mit braunen Tapeten an den Wänden, die in Rücken- und Ellbogenhöhe abgewetzt und speckig waren. In die eine Längswand waren vier Nischen eingelassen, die mit Jalousien verhangen und indirekt beleuchtet waren, offenbar Fenster darstellen sollten, obwohl sie vier Stockwerke tief unter der Erde lagen. Hoch oben an der Wand war ein Fernseher angebracht, auf dem ohne Ton und ohne dass jemand hinsah, die Etatberatungen weiterliefen. In der Mitte stand ein langer Tisch aus edlem Holz, um den sich etliche billige Stühle reihten, schräg ausgerichtet, so dass sie der großen Tafel zugewandt waren, die an der Rückwand hing. Es war eine hochmoderne Tafel, die aus einem gut ausgestatteten College hätte stammen können. Die ganze Atmosphäre, die stickige Luft, die Stille, die
Abgeschiedenheit, erinnerte ihn an einen Prüfungsraum, so als würde hier hart gearbeitet.
Harper führte ihn zu einem Stuhl am unteren Ende des Tisches. Dem letzten im Klassenzimmer. Sie nahm auf einem Stuhl weiter vorn Platz. Blake setzte sich unmittelbar neben die Tafel. Poulton und Lamarr kamen gemeinsam herein, hatten beide Aktenordner unter den Arm geklemmt und waren ins Gespräch vertieft. Sie warfen nur Blake einen kurzen Blick zu. Er wartete, bis die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, stand dann auf und klappte die Tafel um.
Das rechte obere Viertel wurde von einer großen Karte der Vereinigten Staaten in Beschlag genommen, in der etliche Fähnchen steckten. Einundneunzig insgesamt, nahm Reacher an, ohne sie genau nachzuzählen. Bis auf drei schwarze waren alle rot. Gegenüber von der Karte hing ein Farbfoto, zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter groß, retuschiert und vergrößert, von einem unscharfen, mit einer billigen Kamera aufgenommenen Schnappschuss abgezogen. Man sah darauf eine Frau, die lächelnd und mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne blinzelte. Sie war etwa Mitte zwanzig, ziemlich hübsch, mit einem rundlichen, fröhlichen Gesicht und lockigen braunen Haaren.
»Lorraine Stanley, meine Damen und Herren«, erklärte Blake. »Tot aufgefunden in San Diego, Kalifornien.«
Unter dem lächelnden Gesicht waren weitere zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter große Fotos angepinnt. Bilder vom Tatort. Die Aufnahmen waren schärfer. Offensichtlich von einem Profi fotografiert. Eine Totale von einem kleinen Bungalow im spanischen Stil, von der Straße aus aufgenommen. Eine Nahaufnahme von der Haustür. Weitwinkelaufnahmen von einem Flur, einem Wohnzimmer. Dem Schlafzimmer. Dem Badezimmer. Über den beiden Waschbecken an der Rückwand hing ein großer Spiegelschrank. Der Fotograf war darin zu sehen, eine hoch aufgeschossene Gestalt in einem weißen Nylonoverall mit
einer Art Duschhaube auf dem Kopf und Latexhandschuhen, eine Kamera vor dem Gesicht, vom Schein des Blitzlichts umrahmt. Rechts befand sich eine Duschkabine, links eine breitrandige, niedrige Badewanne voller grüner Farbe.
»Vor drei Tagen war sie noch am Leben«, sagte Blake. »Nachbarn haben sie dabei beobachtet, wie sie morgens um Viertel vor acht die Mülltonne an den Straßenrand karrte. Ortszeit. Gestern wurde sie von ihrer Putzfrau tot aufgefunden.«
»Wissen wir den
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