Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
hatte. Er hatte zweimal geduscht, war ein bisschen herumgelaufen, hatte die Jalousien zugezogen, geschlafen, die Jalousien wieder aufgezogen, war wieder hin und her gelaufen. Das war alles.
»Ich habe doch gar nichts gemacht«, sagte er.
»Nein, das nicht.«
»Was soll dann das Getue?«
»Na ja, Sie haben anscheinend keinen Pyjama dabei.«
Jemand vom Fuhrpark brachte einen Wagen zur Tür und ließ ihn mit laufendem Motor stehen. Harper wartete, bis Reacher eingestiegen war, und setzte sich dann ans Steuer. Sie fuhren durch den Regen, an dem Wachposten und den Stützpunkten der Marineinfanterie vorbei zum I-95. Sie raste durch die aufgischtenden Wasserschwaden nach Norden, hielt sich nach knapp fünfundvierzig Minuten, als sie unmittelbar südlich von Washington, DC, waren, in Richtung Osten und bog nach weiteren zehn Minuten flotter Fahrt jäh nach rechts ab, zur Andrews Air Force Base.
»Man hat uns ein Dienstflugzeug zur Verfügung gestellt«, sagte sie.
Nachdem sie zwei Kontrollposten passiert hatten, hielten sie unmittelbar vor der Treppe zu einem nicht gekennzeichneten Learjet. Sie ließen den Wagen auf dem Vorfeld stehen und stiegen ein. Er rollte an, noch ehe sie ihre Sitzgurte geschlossen hatten.
»In einer halben Stunde sollten wir in Dix sein«, meinte Harper.
»McGuire«, wandte Reacher ein. »In Fort Dix ist die Marineinfanterie stationiert. Wir landen aber auf der McGuire Air Force Base.«
Harper wirkte besorgt. »Man hat mir gesagt, dass wir direkt dorthin gebracht werden.«
»Werden wir auch. Ist alles eins. Sie heißen bloß anders.«
Sie verzog das Gesicht. »Irre. Ich glaube, ich werde das Militär nie begreifen.«
»Tja, nehmen Sie’s nicht zu schwer. Wir begreifen euch auch nicht.«
Eine halbe Stunde später setzte der kleine Jet zum Landeanflug an, sackte ein paarmal durch, kippte kurz weg und fing sich wieder, als sie durch die dichte Wolkendecke hinabstießen, bis plötzlich der Boden unter ihnen auftauchte. Es regnete in New Jersey, und rundum wirkte alles trüb und trostlos. Grau und öde ist jeder Luftwaffenstützpunkt, aber
in diesem Fall trug das Wetter noch ein Übriges dazu bei. Wie eine Hummel, die auf einem Highway landet, setzte der Learjet auf der endlos langen und ebenso breiten, für schwere Transportmaschinen angelegten Start- und Landebahn der McGuire Air Force Base auf, kam nach etwa einem Viertel der Strecke zum Stehen und rollte zur hintersten Ecke des Vorfelds. Ein dunkelgrüner Chevrolet raste durch den Regen auf sie zu. Der Fahrer, ein Lieutenant der Marineinfanterie, der in kürzester Zeit tropfnass war, nahm sie in Empfang, sobald die Treppe ausgeklappt war.
»Major Reacher?«, fragte er.
Reacher nickte. »Und das ist Agent Harper vom FBI.«
Der Lieutenant würdigte sie keines Blickes, was Reacher von vornherein klar gewesen war.
»Der Colonel erwartet Sie, Sir«, sagte er.
»Dann mal los. Wir wollen den Colonel doch nicht warten lassen, was?«
Reacher setzte sich nach vorn zu dem Lieutenant, Harper stieg hinten ein. Auf einer schmalen, von weiß getünchten Randsteinen gesäumten Straße fuhren sie an Lagerhallen und Mannschaftsunterkünften vorbei von der McGuire Air Force Base nach Fort Dix. Nach knapp einer Meile hielt der Wagen vor einem flachen Ziegelbau an.
»Die linke Tür, Sir«, erklärte der Lieutenant.
Er blieb im Auto sitzen, was Reacher erwartet hatte. Reacher stieg aus. Harper folgte ihm, hielt sich dicht an ihn und beugte sich vornüber, als ihnen der vom Wind gepeitschte Regen entgegenschlug. Reacher steuerte die linke der drei Türen in dem schmucklosen Backsteingemäuer des Verwaltungsgebäudes an und führte Harper in ein geräumiges Vorzimmer, das voller Aktenschränke und Metallschreibtische stand. Alles war tadellos sauber und geradezu peinlich ordentlich. Hell erleuchtet, als wollte man dem grauen Morgen draußen trotzen. Einer der drei Sergeants, die an drei Schreibtischen arbeiteten, blickte auf und
drückte eine Taste an der Telefonanlage auf seinem Schreibtisch.
»Major Reacher ist da, Sir«, sagte er.
Es dauerte einen kurzen Moment, dann wurde die Tür zum eigentlichen Büro geöffnet, und ein Mann kam heraus. Er war groß und drahtig, hatte kurze schwarze Haare, die an den Schläfen silbergrau wurden. Er streckte die Hand zum Gruß aus.
»Hallo, Reacher«, sagte John Trent.
Reacher nickte. Trent verdankte Reacher einen Gutteil seiner Karriere als Berufsoffizier, weil dieser vor zehn Jahren beim Abfassen eines
Weitere Kostenlose Bücher