Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
lächelte.
»Dann können wir es also ganz locker angehen?«, fragte sie. »Die Sache vergessen.«
Er nickte. »Klar, gehen wir’s ganz locker an. Vergessen wir die Sache. Sie können auch Ihre Jacke wieder anziehen. Jetzt müssen Sie mir ja nicht mehr unbedingt Ihre Brüste zeigen.«
Sie errötete erneut. »Die habe ich ausgezogen, weil mir warm war. Aus keinem anderen Grund.«
»Okay, ich will mich ja gar nicht beklagen.«
Er wandte sich wieder dem Fenster zu und blickte hinaus in die Dunkelheit.
»Möchten Sie ein Dessert?«, fragte sie.
Er drehte sich zu ihr und nickte. »Und noch einen Kaffee.«
»Bleiben Sie sitzen. Ich besorge das.«
Sie ging zur Theke. Plötzlich wurde es still im Raum. Aller Augen waren auf sie gerichtet. Sie kam mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Eisbecher und zwei Tassen Kaffee standen. Hundert Menschen starrten sie an.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Reacher.
Sie beugte sich vor und schob das Tablett auf den Tisch. »Wofür?«
Er zuckte die Achseln. »Dass ich Sie so angeglotzt habe, nehme ich an. Sie haben es vermutlich satt, sich von allen möglichen Leuten anstarren zu lassen.«
Sie lächelte. »Anschauen können Sie mich, so viel Sie wollen, solange Sie mir das auch zugestehen. Sie sind nämlich nicht grade der Allerhässlichste. Aber dabei bleibt es dann auch, okay?«
Er lächelte seinerseits. »Abgemacht.«
Das Eis schmeckte ausgezeichnet. Mit heißer Schokocreme übergossen. Der Kaffee war stark. Wenn er die Augen zukniff und das ganze Drumherum ausklammerte, dann konnte dieser Laden hier von der Qualität her durchaus mit dem Mostro’s mithalten.
»Was machen die Leute hier abends?«, fragte er.
»Die meisten fahren nach Hause«, erwiderte Harper. »Nur Sie nicht. Sie kehren auf Ihr Zimmer zurück. Befehl von Blake.«
»Halten wir uns jetzt etwa an Blakes Befehle?«
Sie lächelte. »An manche.«
Er nickte. »Gut, gehen wir.«
Sie schloss hinter ihm die Tür, die innen keinen Griff hatte. Er stand einen Moment lang da, hörte, wie sich ihre Schritte auf dem Teppichboden draußen entfernten. Dann ein dumpfer Ton, als die Aufzugtür zuging. Ein leises Winseln, als die Kabine nach unten fuhr. Danach herrschte Stille. Er ging zum Nachtkästchen, nahm den Hörer ab und wählte Jodies Privatnummer. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Er rief in der Kanzlei an. Niemand meldete sich. Er versuchte, sie über ihr Handy zu erreichen. Es war abgestellt.
Er ging ins Badezimmer. Irgendjemand hatte ihm eine Tube Zahnpasta, einen Wegwerfrasierer und eine Dose Rasierschaum zu seiner Zahnbürste spendiert. Auf dem Badewannenrand
stand eine Flasche Shampoo, in der Schale lag ein Stück Seife. Frische, flauschig weiße Handtücher waren über den Halter gebreitet. Er zog sich aus und hängte seine Sachen an den Haken auf der anderen Seite der Tür. Dann drehte er die Dusche heiß auf und blieb zehn Minuten darunter stehen. Frottierte sich ab, ging nackt zum Fenster und zog die Jalousien zu. Legte sich aufs Bett und musterte die Decke. Er fand die Kamera. Es war eine kleine schwarze Röhre mit einer etwa pfenniggroßen Linse, die tief in einer Ritze in den Rigipsplatten zwischen Wand und Decke verkeilt war. Er wandte sich wieder dem Telefon zu. Wählte noch mal die gleichen Nummern. Ihren Privatanschluss. Er erreichte nur den Anrufbeantworter. Ihre Kanzleidurchwahl. Niemand ging ran. Ihr Handy. Abgestellt.
10
Er schlief schlecht, wachte vor sechs Uhr morgens auf und wälzte sich zum Nachtkästchen. Knipste die Nachttischlampe an und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, um die genaue Zeit festzustellen. Ihm war kalt, und er hatte die ganze Nacht lang gefroren. Die Bettwäsche war gestärkt, und der steife, glänzende Stoff hatte seinem Körper die Wärme entzogen.
Er griff zum Telefon und wählte die Nummer von Jodies Apartment. Wieder erreichte er nur den Anrufbeantworter. In ihrem Büro meldete sich niemand. Ihr Handy war abgestellt. Er ließ den Hörer lange am Ohr und horchte auf die Durchsage der Mobilfunkfirma. Dann legte er auf und stand auf.
Er ging zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Das Zimmer lag in Richtung Westen, und draußen war es noch dunkel. Vielleicht ging auf der anderen Seite des Gebäudes
bereits die Sonne auf. Vielleicht aber auch nicht. In der Ferne hörte er heftigen Regen, der auf welkendes Laub prasselte. Er wandte sich ab und verzog sich ins Badezimmer.
Er ging auf die Toilette und rasierte sich langsam. Stellte sich
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