Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
offiziellen Untersuchungsberichts einen Absatz weggelassen hatte. Trent hatte seinerzeit angenommen, der Bericht sei bereits geschrieben und werde samt der ihn belastenden Passage weitergeleitet. Trotzdem hatte er Reacher aufgesucht, aber nicht, weil er ihn bitten wollte, den fraglichen Absatz zu unterschlagen, nicht, um mit ihm zu feilschen oder ihn zu bestechen, sondern weil er ihm von Offizier zu Offizier erklären wollte, wie es zu dem Fehler gekommen war. Einfach deshalb, weil er Reacher verständlich machen musste, dass es ein Fehler gewesen war, keine Absicht und erst recht nichts Ehrenrühriges. Er war wieder gegangen, ohne um etwas zu bitten, und hatte auf das große Donnerwetter gewartet. Doch es kam nicht. Der Bericht war zwar veröffentlicht worden, doch der fragliche Absatz war nicht darin enthalten, denn Reacher hatte ihn gar nicht geschrieben. In den letzten zehn Jahren, die seither vergangen waren, hatten die beiden Männer so gut wie nicht mehr miteinander gesprochen. Bis zum vorigen Morgen, als Reacher von Jodies Apartment aus seinen ersten dringenden Anruf erledigt hatte.
»Hallo, Colonel«, begrüßte Reacher ihn. »Das ist Agent Harper vom FBI.«
Trent war höflicher als sein Lieutenant. Aufgrund seines Dienstranges musste er das auch sein. Aber vielleicht ließ
er sich von hoch gewachsenen, vom Regen durchweichten Blondinen in Männerkleidung nur leichter beeindrucken. Jedenfalls schüttelte er ihr die Hand. Und er hielt sie vielleicht etwas länger als nötig. Rang sich möglicherweise sogar ein kleines Lächeln ab.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Colonel«, sagte Harper. »Und vielen Dank im Voraus.«
»Ich hab doch noch gar nichts getan«, gab Trent zurück.
»Na ja, wir sind für jede Unterstützung dankbar, wann immer und wo immer sie uns zuteil wird, Sir.«
Trent ließ ihre Hand los. »Was nicht allzu oft der Fall sein dürfte, nehme ich an.«
»Seltener, als uns lieb ist«, bemerkte sie. »Wenn man bedenkt, dass wir auf der gleichen Seite stehen.«
Trent lächelte wieder.
»Eine interessante Ansicht«, stellte er fest. »Ich werde tun, was ich kann, aber die Unterstützung wird sich in Grenzen halten. Sicherlich haben Sie nichts anderes erwartet. Wir werden Personalakten und Stationierungslisten durchforsten, in die ich Ihnen keinen Einblick gewähren kann. Reacher und ich werden das allein erledigen. Hier geht es um militärische Geheimnisse und um Fragen der nationalen Sicherheit. Sie müssen leider draußen warten.«
»Den ganzen Tag?«, fragte sie.
Trent nickte. »Solange, bis wir damit durch sind. Ist Ihnen das recht?«
Offensichtlich nicht. Sie blickte zu Boden, ohne etwas zu sagen.
»Sie würden mir doch auch keinen Einblick in vertrauliche FBI-Unterlagen gewähren«, sagte Trent. »Ich meine, ihr mögt uns doch im Grunde genommen genauso wenig wie wir euch, stimmt’s?«
Harper blickte sich im Zimmer um. »Ich sollte eigentlich auf ihn aufpassen.«
»Das ist mir klar. Ihr Mister Blake hat mir Ihre Aufgabe
erklärt. Aber Sie sind doch hier, unmittelbar vor meinem Büro. Es gibt nur diese eine Tür. Der Sergeant wird Ihnen einen Schreibtisch zuweisen.«
Der Sergeant stand auf, ohne dass man ihn darum gebeten hatte, und führte sie zu einem unbesetzten Schreibtisch, von dem aus sie freie Sicht auf die Bürotür hatte. Unsicher nahm sie Platz.
»Hier sind Sie gut aufgehoben«, beruhigte sie Trent. »Die Sache könnte einige Zeit in Anspruch nehmen. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Sie wissen ja sicher, wie es einem mit Papierkram so ergehen kann.«
Dann führte er Reacher in sein Büro und schloss die Tür. Es war ein großer Raum mit mehreren Fenstern an zwei Wänden, Bücherregalen, Aktenschränken, einem großen Holzschreibtisch und bequemen Ledersesseln. Reacher ließ sich vor dem Schreibtisch nieder und lehnte sich zurück.
»Lassen wir uns zwei Minuten Zeit, okay?«, sagte er.
Trent nickte. »Lesen Sie das. Tun Sie so, als wären Sie damit beschäftigt.«
Er griff zu einem großen Stapel Akten und reichte ihm einen dicken, blassgrünen Ordner. Er enthielt eine komplizierte Tabelle, in der der voraussichtliche Bedarf an Flugzeugbenzin für die nächsten sechs Monate aufgelistet war. Trent kehrte zur Tür zurück und riss sie weit auf.
»Miss Harper?«, rief er. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee bringen lassen?«
Reacher warf einen Blick über die Schulter und sah, dass sie ihn anstarrte, die Sessel, den Schreibtisch, den Stapel Aktenordner
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