Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
dunkelblaue Limousine mit Navy-Kennzeichen bei laufendem Motor und offener Beifahrertür.
»Sind Sie Reacher?«, brüllte der Fahrer.
Reacher nickte und stieg zu ihm in den Wagen. Der Typ trat das Gaspedal durch.
»Ich bin bei der Navy Reserve«, sagte er. »Wir springen dem Colonel bei. Ein bisschen gegenseitige Unterstützung unter Waffenbrüdern.«
»Ich weiß das zu schätzen«, erwiderte Reacher.
»Ist schon gut«, sagte der Fahrer. »Wo soll’s hingehn?«
»Nach Manhattan. Fahren Sie nach Chinatown. Wissen Sie, wo das ist?«
»Und ob ich das weiß. Ich geh dort dreimal die Woche essen.«
Sie nahmen die Flatbush Avenue und überquerten die
Manhattan Bridge. Es herrschte nicht viel Verkehr, doch nach dem Flug mit dem Learjet und dem Hubschrauber kam Reacher die Fortbewegung am Boden furchtbar langsam vor. Dreißig Minuten vergingen, bevor er auch nur in der Nähe seines Ziels war. Ein ganzes Achtel der ihm zur Verfügung stehenden Zeit. Sein Chauffeur bog von der Zubringerstraße zur Brücke ab und hielt neben einem Hydranten.
»Ich warte hier in entgegengesetzter Fahrtrichtung«, erklärte er. »In genau drei Stunden, ab jetzt gerechnet. Also kommen Sie nicht zu spät, okay?«
Reacher nickte.
»Wird nicht passieren.«
Er stieg aus dem Wagen und schlug zweimal aufs Dach, überquerte die Straße und lief in Richtung Süden. Es war nasskalt in New York, aber wenigstens regnete es nicht. Von der Sonne war allerdings nichts zu sehen – nur ein trüber, verschwommener Lichtfleck am Himmel deutete ihren ungefähren Standort an. Er hielt inne und blieb einen Moment stehen. Von hier aus waren es nur zwanzig Minuten bis zu Jodies Kanzlei. Aber so viel Zeit hatte er nicht. Das Wichtigste zuerst . Das war seine Faustregel. Und außerdem wurde sie vielleicht überwacht. Er durfte auf keinen Fall in New York gesehen werden. Er schüttelte den Kopf und lief weiter. Zwang sich dazu, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Warf einen Blick auf seine Uhr. Es war später Vormittag, und allmählich machte er sich Sorgen darüber, ob er vielleicht zu früh dran war. Andererseits könnte er genau den richtigen Zeitpunkt erwischt haben. Schwer zu sagen, zumal er mit so was keine Erfahrung hatte.
Nach fünf Minuten blieb er wieder stehen. Wenn eine Straße auch nur annähernd für das geeignet war, was er vorhatte, dann diese hier. Zu beiden Seiten standen dicht an dicht Chinarestaurants mit bunten Fassaden in leuchtenden Rot- und Gelbtönen, lauter pagodenartige Bauten, an denen
zahllose Schilder mit chinesischen Schriftzeichen prangten. Auf den Gehsteigen herrschte dichtes Gedränge, Lieferwagen parkten in zweiter Reihe, und an den Randsteinen türmten sich Kisten voller Obst, Gemüse und Ölfässer. Er ging die ganze Straße zweimal auf und ab, erkundete sorgfältig das Terrain, blickte in die Seitengassen, prägte sich alles ein. Dann berührte er die Waffe in seiner Tasche und schlenderte weiter, hielt Ausschau nach den Gesuchten. Sie mussten irgendwo in der Gegend sein. Wenn er nicht zu früh dran war. Er lehnte sich an eine Wand und beobachtete die Menschenmenge. Vermutlich waren sie zu zweit, ein Paar, dicht beisammen. Er blieb eine ganze Weile auf seinem Beobachtungsposten, sah eine Menge Paare, aber es waren nicht die richtigen Leute. Nicht die Gesuchten. Nicht einer davon ließ sich blicken. Er war zu früh dran.
Er warf einen Blick auf seine Uhr und stellte fest, dass seine Zeit langsam, aber stetig verrann. Er stieß sich von der Wand ab und schlenderte weiter, schaute im Vorübergehen in die Hauseingänge. Nichts. Er musterte die Gassen. Nichts. Die Zeit verging. Er lief einen Häuserblock in Richtung Süden, einen weiteren gen Westen und versuchte sein Glück in einer anderen Straße. Nichts. Er wartete an einer Ecke. Immer noch nichts. Er ging einen weiteren Häuserblock in Richtung Süden, noch einen gen Westen. Nichts. Er lehnte sich an einen verkümmerten Baum und wartete, hatte das Gefühl, als ob die Uhr an seinem Handgelenk wie eine Maschine hämmerte. Nichts. Er kehrte zu seinem Ausgangspunkt zurück, lehnte sich wieder an die Wand und sah zu, wie das Gedränge auf der Straße zur Mittagszeit immer dichter wurde, dann allmählich verebbte. Bis mit einem Mal wieder alle aus den Restaurants strömten und sich verliefen. Seine Zeit wurde immer knapper. Er schlenderte zum anderen Ende der Straße. Blickte einmal mehr auf seine Uhr. Er wartete schon volle zwei Stunden. Damit blieb ihm nur noch
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