Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
und seufzte. »Vielleicht.«
»Sie haben sich sechs volle Stunden damit beschäftigt. Da müssen Sie doch vorangekommen sein.«
»Vielleicht«, wiederholte er.
Danach herrschte Schweigen.
»Okay, dann gehen wir«, sagte sie.
Sie stand auf und reckte sich, streckte die Arme über den Kopf, hielt die Handteller flach, als wollte sie sich an der
Decke abstützen. Irgendeine Art Yogaübung. Dann legte sie den Kopf zurück und wandte das Gesicht nach oben, so dass die Haare über ihren Rücken fielen. Drei Sergeants und ein Colonel starrten sie an.
»Gehen wir«, sagte Reacher.
»Vergessen Sie Ihre Notizen nicht«, warf Trent ein.
Er reichte ihm ein Blatt Papier. Rund dreißig Namen waren dort aufgeführt. Vermutlich die Football-Mannschaft von Trents Highschool. Reacher steckte die Liste in die Tasche, zog seinen Mantel an und schüttelte Trent die Hand. Marschierte durch den Vorraum und hinaus in den Regen, wo er einen Moment lang stehen blieb und tief durchatmete, wie es sich für jemanden gehörte, der den ganzen Tag gesessen hatte. Dann drängte ihn Harper zu dem Wagen des Lieutenant, der sie zurück zum Learjet brachte.
Blake, Poulton und Lamarr erwarteten sie in der Cafeteria in Quantico. Draußen war es wieder genauso dunkel wie am Morgen, und sie saßen am gleichen Tisch, aber jetzt war für das Abendessen gedeckt. In der Mitte standen eine Wasserkaraffe und fünf Gläser, dazu Salz- und Pfefferstreuer und ein paar Flaschen Steaksoße. Ohne Reacher eines Blickes zu würdigen, wandte sich Blake an Harper, die ihm zunickte, als wollte sie ihn beruhigen. Blake wirkte sichtlich zufrieden.
»Und, haben Sie unseren Mann schon gefunden?«, fragte er.
»Vielleicht«, sagte Reacher. »Ich habe eine Liste mit dreißig Namen. Er könnte darunter sein.«
»Dann lassen Sie mal sehen.«
»Noch nicht. Ich brauche mehr.«
Blake starrte ihn an. »Unsinn. Wir müssen diese Typen beschatten lassen.«
Reacher schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Diese Jungs halten sich an Orten auf, die Sie nicht betreten dürfen. Selbst
wenn Sie einen Haftbefehl für sie wollen, müssen Sie sich unmittelbar nachdem Sie beim Richter gewesen sind, ans Verteidigungsministerium wenden. Und der Verteidigungsminister wendet sich sofort an den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, und das ist meines Wissens nach immer noch der Präsident. Sie müssen also eine ganze Menge mehr vorweisen als das, was ich Ihnen derzeit bieten kann.«
»Und was schlagen Sie vor?«
»Ich schlage vor, dass Sie mich die Sache noch ein bisschen aufbereiten lassen.«
»Wie?«
Reacher zuckte die Achseln. »Ich möchte Lamarrs Schwester aufsuchen.«
»Meine Stiefschwester«, korrigierte Lamarr ihn.
»Warum?«, fragte Blake.
Weil ich die Zeit totschlagen muss , hätte Reacher am liebsten erwidert, und weil ich das lieber irgendwo da draußen mache als in diesem Loch . Doch er nahm sich zusammen, machte eine ernste Miene und zuckte die Achseln.
»Weil wir zweigleisig denken müssen«, sagte er. »Weil wir rauskriegen müssen, warum dieser Kerl ganz gezielt mordet. Er kann doch nicht auf die ganze Zielgruppe sauer sein, einfach so. Eine dieser Frauen muss bei ihm irgendwas ausgelöst haben, eine Art Initialzündung. Danach hat er seine Wut auf diese eine Person auf alle anderen übertragen, stimmt’s? Wer war also der Auslöser? Lamarrs Schwester wäre vielleicht kein schlechter Ansprechpartner für alle diesbezüglichen Fragen. Zumal sie einmal versetzt wurde. Sie hat bei zwei grundverschiedenen Einheiten gedient. Kam daher mit doppelt so viel Menschen in Berührung, die möglicherweise dem Täterprofil entsprechen.«
Es klang einigermaßen plausibel. Blake nickte jedenfalls.
»Okay«, sagte er. »Wir leiten alles in die Wege. Sie fliegen morgen hin.«
»Wo wohnt sie?«
»Im Bundesstaat Washington«, sagte Lamarr. »Irgendwo in der Nähe von Spokane, glaube ich.«
»Glauben Sie? Wissen Sie das etwa nicht?«
»Ich bin nie dagewesen«, erwiderte sie. »Ich habe viel zu wenig Urlaub, als dass ich den weiten Weg hin- und wieder zurückfahren könnte.«
Reacher nickte. Wandte sich an Blake.
»Sie sollten diese Frauen bewachen lassen«, sagte er.
Blake seufzte. »Rechnen Sie doch mal nach, um Himmels willen. Achtundachtzig Frauen sind gefährdet, über das ganze Land verstreut, und wir wissen nicht, welche die Nächste ist, wenn er in siebzehn Tagen wieder zuschlägt. Falls er seinen Rhythmus einhält. Angenommen, wir stellen für jede drei Agenten ab,
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