Zeit der Rache: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
hatten. Inzwischen war es dunkel geworden, so dass sie Taschenlampen einsetzen mussten. Man hatte vier verschiedene Abdrücke gefunden, anhand derer sich klar erkennen ließ, was hier geschehen war. Jemand war links aufs Bankett gefahren, hatte das Lenkrad eingeschlagen, quer über die Straße zurückgesetzt, bis die Hinterräder auf dem rechten Bankett zum Stehen kamen, war dann umgekehrt und zurückgefahren. Die Abdrücke der Vorderreifen waren durch das Einschlagen des Lenkrads verwischt, die Spuren der Hinterreifen indessen deutlich zu erkennen.
»Vermutlich eine Limousine der Mittelklasse«, stellte einer der Jungs aus Spokane fest. »Ziemlich neue Radialreifen, vermutlich 195/70er, Radgröße etwa vierzehn Zoll. Anhand des Profils werden wir genau feststellen können, um welchen Reifentyp es sich handelt. Außerdem vermessen wir den Radstand, denn dadurch können wir vielleicht die Automarke ermitteln.«
»Meinen Sie, die stammen von dem Kerl?«, fragte Harper.
Reacher nickte. »Müssen sie wohl, oder? Denken Sie mal
nach. Wenn man Ausschau nach einer bestimmten Adresse hält und sieht hundert Meter vor sich ein Haus, fährt man langsamer, damit man den Namen auf dem Briefkasten lesen kann, und hält dann an. Und selbst wenn man ein paar Meter zu weit gefahren ist, setzt man sofort zurück. Aber man fährt keine fünfzig Meter weiter, bis man hinter der nächsten Kurve ist, und wendet dann. Diese Spuren stammen von jemandem, der das Haus ausgespäht hat, feststellen wollte, ob die Luft rein ist. Er war es, daran gibt’s überhaupt keinen Zweifel.«
Sie verließen die Agenten aus Spokane, die kleine, wasserdichte Zelte über den Abdrücken aufbauten, und kehrten zum Haus zurück. Blake stand im Schein der Innenbeleuchtung neben dem Suburban und wartete auf sie.
»In allen drei Tatortbefunden sind Kartons für Haushaltsgeräte aufgeführt«, teilte er ihnen mit. »Keine Erkenntnisse über den Inhalt. Offenbar kam niemand auf die Idee nachzusehen. Wir schicken unsere Agenten vor Ort hin, damit sie es überprüfen. Könnte eine Stunde dauern. Und Julia sagt, wir sollen die Badewanne ausbauen. Ich nehme an, dazu brauche ich ein paar Handwerker.«
Reacher nickte versonnen und hielt dann inne, als ihm ein weiterer Gedanke kam.
»Sie sollten noch etwas anderes überprüfen«, sagte er. »Nehmen Sie sich die Liste mit den sieben Frauen vor, die er noch nicht erwischt hat, und fragen Sie sie.«
Blake schaute ihn an. »Was soll ich sie fragen? Hallo, seid ihr noch am Leben? «
»Nein, fragen Sie sie, ob sie irgendwelche nicht bestellten Lieferungen erhalten haben. Haushaltsgeräte vielleicht. Denn wenn dieser Kerl das Tempo anzieht, hat er möglicherweise schon sämtliche Vorbereitungen für die nächste Tat getroffen.«
Blake musterte ihn, nickte dann, stieg in den Suburban und griff zum Autotelefon.
»Setzen Sie Poulton darauf an«, rief Reacher. »Für Lamarr ist das zu nervenaufreibend.«
Blake starrte ihn nur an, ließ sich dann aber mit Poulton verbinden. Erklärte ihm, was er von ihm wollte, und legte wieder auf.
»Jetzt müssen wir warten«, meinte er.
»Sir?« sagte der Corporal.
Die Liste lag in der Schublade, und die Schublade war abgeschlossen. Der Colonel saß reglos an seinem Schreibtisch und starrte in das schummrige Licht in dem fensterlosen Büro, ohne etwas wahrzunehmen, dachte angestrengt nach und rang um Fassung. Die würde er am ehesten wiedergewinnen, wenn er mit jemandem spräche. Das war ihm klar. Geteilte Last ist halbe Last. So hielt man das in einem riesigen Apparat wie der Army. Aber darüber konnte er mit niemandem sprechen. Er lächelte bitter. Fixierte die Wand und überlegte weiter. Glaube an dich , das genügte vielleicht auch. Er war so um Fassung bemüht, dass er das Klopfen an der Tür überhört haben musste. Hinterher wurde ihm bewusst, dass der Corporal mehrmals geklopft haben musste, bevor er eintrat, und er war froh, dass er die Liste bereits in die Schublade gelegt hatte, denn sonst hätte er sie nicht mehr verbergen können. Er wäre zu überhaupt nichts fähig gewesen. Er saß nur reglos da und wirkte offenbar völlig verstört, denn der Corporal musterte ihn ganz besorgt.
»Sir?«, wiederholte er.
Er erwiderte nichts. Wandte den Blick nicht von der Wand ab.
»Colonel?«, sagte der Corporal.
Mühsam, als wäre sein Kopf tonnenschwer, wandte er sich um. Schwieg.
»Ihr Wagen ist da, Sir«, sagte der Corporal.
Sie warteten anderthalb Stunden, in denen
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