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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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belustigt.
    »Hallo, Tyler«, sagte Tante Nick.
    »Hallo, Mrs. Derringer. Mr. Derringer.«
    Er stellte sich neben Daisy, aber sie sah ihn nicht an, was wahrscheinlich gut war, weil er nämlich Tante Nick anstarrte.
    Dann sagte er: »Hallo, Daisy«, und sie musste sich zu ihm wenden.
    »Hallo.« Es klang kühl, aber ihre Augen sagten, dass er weiter mit ihr sprechen solle. »Erinnerst du dich an meinen Cousin Ed?«
    »Ja, natürlich.«
    Wir gaben uns die Hand, aber meinem Eindruck nach hatte er keine Ahnung, wer ich war.
    »Ich wollte gerade zur Bar«, sagte Tyler. »Kann ich jemandem etwas bringen?«
    »Ich komme mit«, erklärte Tante Nick. »Willst du etwas, Liebling?«
    »Nein«, antwortete Onkel Hughes. »Ich versuche eine Auster zu ergattern, bevor alle weg sind. Möchtest du auch eine?«
    »O ja, bitte«, sagte Tante Nick und sah Onkel Hughes auf eine so sanfte, liebe Weise an, dass es mir in den Händen zuckte.
    Daisy lehnte sich ans Holzgeländer und betrachtete den Himmel.
    »Du magst ihn immer noch«, sagte ich.
    »Ja, Ed, ich mag ihn immer noch«, erwiderte sie leise, und ich sah das Spiel ihrer Unterarmmuskeln unter der Haut. Plötzlich schaute sie mich an und sagte gereizt: »Aber mir gefällt nicht, wie er sich gibt. Das ist alles zu perfekt und irgendwie falsch.«
    »Ja«, bestätigte ich, »es ist falsch.«
    »Ich weiß, und manchmal hasse ich ihn fast deswegen.« Sie scharrte mit der Schuhsohle über die Planke. Ihre Schuhe waren gelb und flach.
    »Er starrt deine Mutter an.«
    »Was?« Sie warf mir einen Blick zu, als hätte sie mich nicht gehört.
    »Deine Mutter«, wiederholte ich. »Er starrt sie an.«
    »Wer tut das nicht?«, sagte Daisy. »Außerdem hat das nichts mit meiner Mutter zu tun, sondern mit dem, was zwischen uns passiert ist. Wir haben miteinander geschlafen.«
    Darauf wusste ich nichts zu erwidern, und ich schwieg. Aber es war auf jeden Fall eine interessante Entwicklung.
    »Und zwar letzten Sommer, falls es dich interessiert. Und hör auf, mich so komisch anzuschauen!«
    »Tue ich gar nicht.«
    »Manchmal hasse ich einfach alle.«
    Wenn sie so etwas sagte, war mir immer danach, sie zu berühren, an der Schulter oder am Handgelenk. Nur um zu spüren, ob sich ihre Haut dann anders anfühlte. Ich berührte sie fast nie, eigentlich nur, wenn sie mich berührte. Ich hatte nicht den Wunsch danach. Außer in Momenten wie diesem, wenn sie in einer solchen Stimmung war. Dann dachte ich darüber nach, ob ich es, wenn ich sie berühren würde, spüren könnte wie einen Temperaturunterschied. Aber es ging nicht, ich durfte sie nie berühren, wenn ich über etwas nachdachte.
    »Ich möchte einen Drink«, sagte sie.
    »In Ordnung.«
    »Holst du mir noch einen Gin Tonic?«
    Ich ging an die Bar zurück. Thomas warf mir zwar einen bösen Blick zu, machte den Drink aber trotzdem. Ich nahm mir eine Pistazie aus einem Schüsselchen und zwickte die Schale ab. Das mag ich so an Pistazien und Erdnüssen, dass sie eine harte Schale haben, aber darunter dann auch noch dieses Häutchen, als wäre die Schale nicht genug.
    Ich sah mich um.
    Die Frau mit den violetten Augen war weg, aber draußen auf der Veranda unterhielt sich Tante Nick mit Taylor. Sie wirkte so, als wäre sie halb im Lesezimmer und halb außerhalb, so als wäre sie hinausgegangen, ohne es zu bemerken, und hätte dann versucht, die Sache wieder geradezurücken. Tyler war größer als sie und musste beim Sprechen leicht den Kopf beugen. Ich nahm den Drink und trat an ein Fenster mit Blick auf die Veranda. Wenn ich mich an die Wand daneben lehnte, konnte ich hören, was sie sagten, ohne gesehen zu werden. Einer der ältesten Tricks überhaupt.
    Ich betrachtete den Gin Tonic in meiner Hand, dann trank ich einen Schluck. Ich würde Daisy einen frischen holen. Ich biss auf einen Eiswürfel und fühlte ihn zwischen den Zähnen zerbrechen.
    »Es freut mich sehr, dass ich Sie heute Abend hier treffe«, sagte Tyler gerade. »Ich habe nämlich heute Ihre Limonade gemacht. Erinnern Sie sich an das Geheimrezept, das Sie mir mal verraten haben?«
    Tante Nick lachte, als wäre ihr völlig egal, was er daherredete. »Ach, wirklich? Du meine Güte, wann habe ich denn mein Geheimrezept verraten?«
    »Muss eine Ewigkeit her sein. Aber ich habe es nie vergessen.«
    »Na, das freut mich aber.«
    Dann schwiegen sie eine Weile, und ich stellte mir vor, wie er sie ansah. Schließlich sagte er: »Amüsieren Sie sich?«
    »Ja, ich glaube schon.« Sie lachte

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