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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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ist da schon länger, als alle erwartet hatten, und bestimmt länger, als Tante Nick und Onkel Hughes es sich leisten können. Im Krankenhaus ist es komisch, und mich überkommt wieder dieses Gefühl, dass der Ort, an dem ich war, und der Ort, an dem ich bin, nichts miteinander zu tun haben. Dann frage ich mich immer: Wie kann es sein, dass ich gerade dort war und jetzt hier bin, und beides ergibt keinen Sinn. Und dann schaue ich Daisy an, und mir ist, als würde sie sich genau in diesem Moment, während ich sie anschaue, vor mir entfalten. Als wäre sie jetzt so weit, wie mein Vater gesagt hätte. Sie erwähnt weder meine Mutter noch das Krankenhaus, sondern sieht mich an und sagt: »Ins Lesezimmer? Ich brauche unbedingt einen Drink!« Und ich sage »Okay« oder etwas in der Art. Dann hakt sie sich bei mir unter, und ich spüre durch den Hemdsärmel hindurch ihr Armband, und es überläuft mich heiß und kalt. Wir treten von der Veranda hinunter, in den Abend hinaus. So fängt es an.
     
    »Ich habe immer dieses komische Gefühl, dass alle hier ein und derselbe Mensch sind«, sagte die Frau mit den violetten Augen.
    Wir standen im Lesezimmer an der Bar, und Thomas wartete auf unsere Bestellung. Daisy lachte bloß, aber ich fand die Bemerkung interessant und stellte mich ein bisschen näher zu der Frau hin.
    »Für mich einen Gin Tonic«, sagte Daisy. »Und du, Ed?«
    Ich konnte mich nicht richtig auf die Bestellung konzentrieren, weil ich immer noch darüber nachdachte, dass alle ein und derselbe sein könnten.
    Der Raum war voller Männer und Frauen, die ihrem Aussehen nach tatsächlich alle in derselben Sekunde desselben Jahres hätten auf die Welt gekommen sein können, was natürlich nicht so war. Dunkelblaue Blazer, gelbe Blazer, grüne Hosen, rosa Hemden mit gelben Walfischen, gelbe Gürtel mit rosa Hummern, Nantucket Reds, Nantucket-Körbe, blau-weiß gestreifte Seidenkrawatten, gelb-lila gestreifte Seidenkrawatten, rosa-dunkelblau gestreifte Seidenkrawatten. Ich bekam Kopfschmerzen davon.
    »Ed?«
    Als ich aufblickte, sah ich, dass Thomas mit den Fingern auf das glänzende Holz trommelte.
    »Donnerlittchen«, sagte Daisy und wandte sich von mir ab. »Für ihn einfach auch einen Gin Tonic.«
    Ich grinste. »Donnerlittchen.«
    Daisy grinste auch und stieß mich mit dem Ellbogen in die Seite. So was machte nur Daisy.
    »Olivia? Du kennst doch meinen Cousin Ed, oder?«, sagte Daisy, nachdem sie sich wieder zu der Frau mit den violetten Augen umgedreht hatte.
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    Ich jedenfalls hatte diese Olivia noch nie gesehen. Sie war hübsch, aber ein bisschen zu alt, um richtig hübsch zu sein.
    Ich siedelte sie irgendwo zwischen achtunddreißig und vierzig an, aber ihr Aussehen hätte jeder Debütantin Ehre gemacht.
    »Ed geht im Herbst nach Princeton«, sagte Daisy.
    Ich habe solche Gespräche immer etwas merkwürdig gefunden, aber im Internat hatte ich gelernt, dass die Alma Mater eine Art Führungszeugnis darstellt. Auch so eine Sache. Das Internat war in dieser Hinsicht sehr lehrreich gewesen, man hatte mir dort beigebracht, die kleinen Feinheiten zu entschlüsseln, die alle anderen ganz von selbst verstanden, und ich war Onkel Hughes dankbar dafür, dass er mich hingeschickt hatte, auch wenn ich bezweifelte, dass er sich bei den Leuten dort dafür bedankt hätte.
    »Wirklich? Princeton? Ist ja toll.« Olivia wirkte ein bisschen unaufmerksam, aber sie riss sich zusammen und fügte noch »Go Tigers!« hinzu.
    Sie gefiel mir. Ihr Unterrocksaum sah ein Stück hervor, das gefiel mir auch. Sie war aus sich herausgegangen, das bereitete ihr Unbehagen. Ich stand jetzt so nah bei ihr, dass ich ihr Parfum riechen konnte. Sie duftete nach kandierten Rosen. Ich hätte gern ihr Haar berührt, das einen ungewöhnlichen Rotton hatte, und es zwischen den Fingern gefühlt.
    Daisy unterschrieb den Beleg schludrig wie immer. Kritzel, kritzel, und dann nichts wie weg damit, als könnte sie den Anblick keine Sekunde länger ertragen. Jahrelang habe ich ihr dabei zugesehen. Im Jachtclub, im Tennisclub und hier, wo jeden zweiten Sonntag Frauen Einlass ins Allerheiligste fanden.
    Ich wäre gern geblieben, hätte gern noch länger mit Olivia der Violettäugigen geplaudert, aber Daisy gab mir meinen Drink und sagte: »Wir müssen meine Eltern suchen, unseren Tribut zollen. Immerhin zahlen sie die Zeche.«
    »Auf Wiedersehen«, sagte ich zu Olivia, »war nett, Sie kennenzulernen.«
    Sie lächelte, hielt aber bereits

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