Zeit der Raubtiere
Clubhausveranda und boten ihr als Gegenleistung für die Geschichte Zitronenwasser, kleine Süßigkeiten und neue Schlägersaiten.
»Hast du sofort gemerkt, dass sie tot war?«
»War sie ganz weiß, wie ein Gespenst?«
»Bist du in Ohnmacht gefallen? Also, ich wäre sofort in Ohnmacht gefallen.«
Das Letzte kam von Peaches und war typisch, weil sich bei ihr immer alles um sie selbst drehen musste. Natürlich stellte sich Peaches vor, dass sie sofort in Ohnmacht gefallen und von einem beflissenen Jungen im Tennisdress weggetragen worden wäre. Als ob sie so leicht wäre, dass jeder sie wegtragen könnte. Doch diesmal achtete keiner auf sie. Selbst Tyler wirkte ungehalten.
»Lass Daisy doch mal die Geschichte erzählen!«, blaffte er sie an.
Daisy wurde es merkwürdig warm ums Herz, und sie beugte sich so weit zu Tyler vor, dass sie seinen Geruch wahrnahm. Er roch nach Leder und Schweiß, aber trotzdem sauber. Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu.
»Es war unheimlich«, berichtete sie. »Irgendetwas an ihr stimmte einfach nicht. Und ihr Kopf war ganz schief. Ed sagt, man hat ihr mit einem Stein den Schädel eingeschlagen. Jedenfalls hat das der Stellvertreter des Sheriffs behauptet.«
Allen in der Gruppe stockte der Atem.
»Ed war wirklich mutig«, fuhr Daisy fort. Sie wollte zu ihrem Cousin halten und war stolz auf ihn. »
Er
hat die Decke weggezogen.«
»Genau wie im Film«, sagte Anita zustimmend.
»Ich finde, du warst auch mutig«, sagte Tyler.
Plötzlich hatte Daisy einen Schluckauf und konnte nur noch mit Mühe atmen.
»Wenn ich eine kleine Schwester hätte, müsste sie so sein wie du.«
Da lächelte Peaches geziert und hatte ihre alte Pracht und Herrlichkeit wieder.
Nach dem Training lud Anita sich selbst ein. Daisy, noch immer mit düsteren Gedanken über Tyler und Peaches beschäftigt, stimmte notgedrungen zu, obwohl sie es nicht unbedingt für eine gute Idee hielt. Sie hoffte, ihre Eltern wären am Strand und Tante Helena würde sich nicht allzu komisch benehmen.
»Ich finde es unglaublich aufregend, dass du das Mädchen gefunden hast. Wie in einer Nancy-Drew-Geschichte.«
»Vorhin hast du gesagt, es ist wie aus einem Film«, wandte Daisy kleinlich ein.
»Beides – beides in einem. Und sogar besser, weil es wahr ist.«
Daisy schwieg.
»Sie hat bei den Wilcox gearbeitet«, sagte Anita und warf Daisy einen Blick zu.
»Ich weiß«, gab Daisy gereizt zurück.
»Meine Großmutter hat erzählt, dass das letzte Hausmädchen von Mrs. Wilcox gefeuert wurde, weil sie gestohlen hat.«
Daisy starrte sie an. Anita hatte ihre Mundwinkel ganz leicht nach oben gezogen.
»Was denn?«
»Weiß ich nicht. Aber meine Großmutter meinte, wahrscheinlich wäre Mrs. Wilcox schuld gewesen, weil sie eine schlechte Herrin ist, die ihre Hausangestellten nicht halten kann.«
Der Gedanke, dass Elena Nunes gestohlen haben könnte, machte Daisy traurig. Sie wechselte das Thema.
»Lebst du bei deiner Großmutter?«
»Nein, ich wohne nur den Sommer über bei ihr. Meine Mutter ist Schauspielerin und im Sommer ständig unterwegs.«
»Deine Mutter ist Schauspielerin?« Daisy begann zu ahnen, dass Anita wesentlich interessanter war, als sie ihr zugetraut hatte.
»Mhm. Am Theater. Sie spielt gerade in ›Hexenjagd‹, in New York, aber nicht am Broadway.«
»Was ist das?«, wollte Daisy wissen.
»Es handelt von den Hexenprozessen von Salem, aber meine Mum sagt, im Grunde ist es ein politisches Stück.«
»Ach so«, sagte Daisy. Sie hatten die Zufahrt an der North Summer Street erreicht. »Komm!«
Daisy führte Anita in die Sommerküche, die in der Hitze des Tages stickig geworden war. Im Kühlschrank lagen ein paar Sandwiches mit Fleischwurst, und auf der Theke fand sich ein Zettel, auf dem ihre Mutter mitteilte, dass die Eltern zum Picknicken an den Strand gegangen waren.
»Da.« Daisy gab Anita den Teller und griff nach einem Krug mit Limonade, die ihre Mutter nach einem Spezialrezept herstellte. Eines der Sandwiches war vermutlich für Ed gedacht, der noch nicht da war, doch das kümmerte Daisy nicht. »Wir können damit auf die Veranda gehen.«
Als sie am blauen Salon vorbeikamen, sah Daisy Tante Helena im Sessel schlafen.
»Bring das schon mal raus!«, sagte sie zu Anita. »Ich komme gleich.«
Sie ging zu ihrer Tante und berührte sie an der Schulter. »Tante Helena?«
Ihre Tante bewegte sich nicht. Ihr weicher Mund stand ein wenig offen, und Daisy hörte sie leise schnarchen. Der Tumbler in
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