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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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abnahm. Daisy war wie betäubt, doch merkwürdigerweise pochte ihr Herz so schnell, als würde es ihr gleich aus der Brust springen.
    »Nicht gerade dein bestes Tennis«, sagte Mr. Collins, als sie das Clubhaus betrat. Dann legte er Peaches die Hand auf die Schulter. »Gut gespielt, Peaches, sehr wirkungsvoll. So, Mädchen, und nun gebt euch die Hand!«
    Daisy marschierte schnurstracks weiter und trat, den Schläger hinter sich herschleifend, durch den Vordereingang auf die Straße hinaus. Sie wollte nicht einmal mehr weinen, sondern nur daheim unter ihrer kühlen lavendelfarbenen Bettdecke liegen.
    Hinter ihr ging jemand, aber sie beschleunigte ihre Schritte nicht. Die können mich fesseln und mit der chinesischen Wasserfolter quälen, dachte sie, dem Pummel gebe ich nicht die Hand!
    Eine warme, trockene Hand packte sie am Arm.
    »Hey«, sagte Tyler, »warte mal!«
    Daisy drehte sich um.
    »Hey, ist schon in Ordnung«, sagte Tyler. »Nicht weinen.«
    »Ich weine überhaupt nicht«, entgegnete Daisy und begann schneller zu gehen.
    »Also gut, dann weinst du eben nicht. Jetzt warte doch mal!«
    Daisy blieb stehen.
    »Ich will dir nur sagen, dass du gut gespielt hast, finde ich.«
    »Mach dich nicht lächerlich! Ich habe verloren«, entgegnete Daisy wütend.
    »War doch nicht mal ein richtiges Match«, sagte Tyler. »Ihr habt nur zwei Sätze gespielt. Und du hast richtig gut ausgesehen da draußen. Hast eben ein paar Fehler gemacht, das ist alles.«
    »Hat dich Mr. Collins geschickt? Ich sage dir gleich, ich gebe ihr nicht die Hand.«
    Tyler lachte. »Ganz schön kratzbürstig!«
    Daisy sah ihn unverwandt an und stieß den Schlägerkopf in den Kies.
    »Schon gut, schon gut. Also, ich bin nicht der Spion von Collins. Aber du hast es so schwergenommen.« Er streckte die Hand aus. »Gib mir den Schläger! Er hat es nicht verdient, dass du ihn so behandelst.«
    Daisy gab ihm den Schläger, der oben ganz zerkratzt war. Sie begannen weiterzugehen.
    »Du darfst es dir nicht so zu Herzen nehmen. Du bist auf jeden Fall die bessere Spielerin.«
    »Aber gewonnen hat sie, nicht ich«, sagte Daisy mit brüchiger Stimme. »Also ist sie die Bessere.«
    »Nein, ich habe dich beobachtet. Du bist richtig gefährlich auf dem Platz.«
    »Nicht gefährlich genug.«
    »Du bist hitziger und sie kaltblütiger, das ist alles«, erklärte Tyler. »Es sind einfach zwei verschiedene Spielweisen, aber deine gefällt mir besser.«
    Daisy kaute auf ihrer Unterlippe und dachte darüber nach. Ich bin hitziger, sie kaltblütiger.
    »Nicht zu fassen, dass sie mir den Aufschlag abgenommen hat«, sagte Daisy.
    Als sie in die Morse Street einbogen, begann die Wut über die Niederlage zu verfliegen, und mit einem jähen, durchdringenden Glücksgefühl machte sich Daisy bewusst, dass sie gerade von Tyler Pierce nach Hause gebracht wurde. Der staubige Gehsteig schien ihren Füßen entgegenzuwachsen, und die weißen Fensterläden hoben sich so klar und sauber wie frische Wäsche von den Zedernholzbrettern der Häuser ab. Sie roch die Geißblattblüten, die fast bis zu den Spitzen ihrer Tennisschuhe herabhingen. Sie sehnte sich danach, ihre Hand in seine zu legen; sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen.
    Tyler hatte den Schläger geschultert, und Daisy sah einen Schweißfleck unter seinem erhobenen Arm. Sein Haar war feucht und lag am Kopf an. Er war hübsch wie ein Mädchen mit seinen hohen Wangenknochen und den langen Wimpern. Aber mit seinem Schweiß und der braunen Haut, mit seinen starken Armen, die ihren Schläger so mühelos trugen, war er ein richtiger Mann.
    Daisy nahm nicht die Abkürzung über die North Summer Street, die zur Rückseite des Hauses führte, sondern wählte den Umweg zur North Water Street und versuchte die ganze Zeit, auf ein Gesprächsthema zu kommen, das nichts mit Tennis oder mit Peaches zu tun hatte. Als sie vor dem Eingangstor angelangt waren, dachte sie immer noch nach.
    »Also dann«, sagte sie, während sie langsam die Klinke drückte.
    »Also dann«, sagte Tyler lächelnd. Er gab ihr den Schläger und sah zum Haus hinauf. »Hier wohnst du also.«
    »Ja.« Auch Daisy sah hinauf und fragte sich, wie das Haus wohl in seinen Augen aussah.
    Er strich mit der Hand über die roten Rosen, die sich am Zaun in die Höhe rankten, und setzte den Duft der üppigen Blüten frei.
    »Ein großes Haus«, sagte er. »Schön.«
    »Es hat meiner Urgroßmutter gehört.« Daisy fiel absolut nichts Interessantes ein. Verzweifelt sah sie

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