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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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Musikpodium zu errichten und ringsum die Stofffähnchen, die Lampions sowie Tiger auf Stangen anzubringen. Offenbar gab es Probleme, das Podium im richtigen Winkel aufzubauen, weil der Rasen zum Hafen hin abfiel.
    »Sie sagen, sie haben es bis jetzt noch jedes Jahr hingekriegt«, murmelte Daisys Mutter in Daisys Richtung, aber zu niemandem im Besonderen, nachdem sie die Arbeiten inspiziert hatte.
    Ed hatte sich verdrückt, und Daisy war trotz des Trubels langweilig. Man hatte ihr aufgetragen, den Gehsteig vor dem Haus zu fegen, was sie aber nicht gemacht hatte. Stattdessen hatte sie sich ein Sandwich aus der Küche stibitzt, war in ihr Zimmer gegangen und in der Mittagshitze eingeschlafen.
    Mehrere Stunden später wurde sie von der besorgten Stimme ihres Vaters geweckt.
    »Daisy!« Er schüttelte sie sanft. »Schätzchen, hast du deine Mutter gesehen?«
    Daisy schüttelte langsam den Kopf.
    »Es ist schon vier, und ich finde sie nirgends.« Ihr Vater sah sich im Zimmer um, als würde ihre Mutter gleich aus dem Schrank springen. »Also, wenn du sie siehst, sagst du ihr bitte, dass es vier ist. Vielleicht hat sie die Zeit vergessen.« Ihr Vater tätschelte ihr das Bein und ging wieder.
    Daisy erhob sich gemächlich und ging hinunter. Das Haus hatte sich verwandelt. Die Leinentischwäsche ihrer Großmutter lag frisch und glatt über die Tafel gebreitet, deren Mitte gekühlte, von kraftstrotzenden Hortensien und Gartenwicken überbordende Silbereimer schmückten. Draußen legte der Barkeeper mit schweißgetränktem steifem Kragen sein Werkzeug aus und polierte mit einem weichen Putzleder den Eiskübel. Die Hitze war immer noch unerträglich; der für die Austernbar engagierte Mann hantierte hektisch mit den Eiskisten herum. Sein grüner Schutzschirm warf einen Schatten auf sein besorgtes Gesicht.
    Daisy spähte kurz in den blauen Salon. Auf dem Beistelltisch stand ein halbleeres, angelaufenes Glas Scotch mit hinabkullernden Wassertropfen. Auch im grünen Salon war ihre Mutter nicht zu sehen und auch nicht in der Küche, die noch genauso unaufgeräumt war wie Stunden zuvor und wo die Mädchen gerade herauszufinden versuchten, wie sie die Fleischbrühe abkühlen könnten.
    »Haben Sie meine Mutter gesehen?«, fragte Daisy.
    Als weder eine Antwort noch ein Anzeichen dafür kam, dass sie gehört worden war, wiederholte sie mit erhobener Stimme: »Haben Sie meine Mutter gesehen? Mein Vater sucht sie.«
    Es klang etwas lauter, als sie beabsichtigt hatte; die Mädchen hörten auf zu reden, aber keines sah zu ihr hin.
    »Vielleicht hat sie die Zeit vergessen«, fügte Daisy leiser und ziemlich verlegen hinzu.
    Eines der Mädchen, dem das dunkle Haar am Gesicht klebte, wischte sich die Hände an der gestreiften Schürze ab und sagte, indem sie zum hinter dem Haus gelegenen Rasen deutete: »Sie ist da draußen bei den Musikern.«
    Die anderen schauten das Mädchen an und wandten sich wieder der großen Schüssel mit der Fleischbrühe zu.
    Daisy lief zur Hintertür hinaus. Sie achtete darauf, dass das Fliegengitter nicht allzu laut an den Rahmen stieß.
    Sie fand ihre Mutter hinter dem alten Eiskeller bei den Top Liners. Die Musiker tranken Bier aus der Flasche und inspizierten ihre Instrumente. Daisys Mutter lag auf dem Rücken im Gras. Sie war barfuß und schaute in den Himmel.
    »Mummy?«
    Ihre Mutter drehte den Kopf zu ihr, ohne ihn zu heben, und betrachtete sie.
    »Liebling«, sagte sie. Es klang, als hätte sie gerade geschlafen, aber ihre Augen waren offen. »Hallo.«
    »Daddy sucht dich. Es ist vier Uhr.«
    »Vier Uhr? Du meine Güte, ich muss mich herrichten. Dabei ist es so ruhig und friedlich hier.«
    Daisy blickte sich um, sah aber nur die Zufahrt und den grau verschmutzten Eiskeller.
    »Ja dann.« Sie trat von einem Fuß auf den anderen. »Soll ich Daddy sagen, dass ich dich gefunden habe?«
    »Nein, nein, ist schon gut, mein Schatz. Hilf deiner Mummy auf die Beine, ja?« Ihre Mutter reckte die Arme in den Himmel.
    Daisy umklammerte ihre Hände und zog, aber ihre Mutter war zu schwer. »Es geht nicht«, sagte sie.
    Ihre Mutter begann zu kichern. Daisy warf einen verstohlenen Blick zu den Musikern hin, die aber vollauf damit beschäftigt waren, Saiten zu zupfen und Mundstücke zu reinigen.
    »Also gut, noch ein Versuch. Diesmal helfe ich mit«, sagte ihre Mutter.
    Daisy zog noch einmal. Ihre Mutter rappelte sich hoch und klopfte ihren Rock sauber.
    »Jetzt aber Tempo«, sagte sie, während sie Daisy vor sich her zum

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