Zeit der Raubtiere
auf zu grimassieren, und Daisy nahm das Rouge in die Hand. Sie strich mit Zeige- und Mittelfinger über die wachsweiche Oberfläche und trug auf den höchsten Punkt der Wangenknochen ihrer Tante behutsam einen rötlichen Kreis auf.
»Ich weiß übrigens sehr wohl, wie man mit Rouge umgeht, meine Liebe.«
Daisy verteilte die Farbe von den Rändern her längs der Wangenknochen.
»Aber manchmal erscheint mir eben alles so unwichtig und unmöglich.«
Daisy sah, dass in die Augen ihrer Tante Tränen getreten waren.
»So … ich weiß auch nicht … so sinnlos.«
Daisy überkam das dringende Bedürfnis, aus dem Zimmer zu laufen, weg von den prallen Tränen, die sich in den glasigen blauen Augen ihrer Tante sammelten. Aber dann wäre ihre Mutter sauer, und vor die Wahl gestellt, hielt sie es lieber mit Tante Helena aus.
»Fertig.« Daisy trat einen Schritt zurück und tat, als würde sie ihr Werk eingehend mustern. »Sieht hübsch aus.«
»So, und welchen Lippenstift?« Ihre Tante spreizte die Hand über der Ansammlung goldener Hülsen. »Midnight Garden, Tickle Me Pink, Atomic Red, Lobster Bisque? Da – verstehst du, was ich meine? Es ist so anstrengend!«
»Lobster Bisque, auf jeden Fall«, sagte Daisy und wischte die Spitze mit dem Taschentuch ab. Dann begann sie den Mund ihrer Tante zu schminken, aber sie patzte, und ein wenig Lobster Bisque geriet über den Lippenrand.
»Ich mach es schon«, sagte Tante Helena. »Das Schwierigste war das Auswählen.«
Als sie fertig war, steckte sie die Kappe vorsichtig auf den Stift zurück, stieß dabei aber ein silbernes Döschen von der Tischplatte auf ihren Schoß, der sofort von winzigen Dingern, die wie Smarties aussahen, bedeckt war. Tante Helena schaufelte sie sich rasch in die Hand und steckte sie in ihre Tasche.
Daisy ließ den Blick durchs Zimmer wandern. »Welches Kleid ziehst du denn nun an?«, fragte sie.
Aus dem Schallplattenspieler drang die Stimme von Vic Damone, den Daisy besonders gern mochte, bis zu ihnen herauf.
Ohhhhhh, that towering feeling, just to know someone you are near.
»Was meinst du?«
»Das da, würde ich sagen.« Daisy deutete auf ein Kleid, das auf dem Bett lag. Dunkelblau, der weite Rock mit Hummern bedruckt. »Das passt zu Lobster Bisque.«
»Stimmt«, sagte Tante Helena, die plötzlich fröhlich und entschieden klang. »Ich hatte mir schon gedacht, dass es genau das Richtige wäre.«
»Soll ich dir beim Anziehen helfen?« Daisy strich den Rock des Kleids glatt. Sie dachte noch immer an ihre Mutter.
»Nein, mein Lämmchen, das schaffe ich schon.«
Daisy sah zu, wie sich ihre Tante in den Hüfthalter zwängte und ihr fleischiger Hintern dabei so nach oben geschoben wurde, dass er einer sich brechenden Welle ähnelte, bis er schließlich unter dem engen Kleidungsstück verschwand. Das Kleid leistete weniger Widerstand, und Daisy half, das Häkchen in die Öse über dem Reißverschluss zu stecken.
I’ve often walked on this street before, but the pavement always stayed beneath my feet before.
Ihre Tante wandte ihr das Gesicht zu und begann sich lachend um die eigene Achse zu drehen, wirbelnde Hummer zwischen den Hüttensängern in ihren Käfigen.
Auch Daisy lachte, und ihr kam der Gedanke, dass sie nie bemerkt hatte, wie hübsch Tante Helena war mit ihren Apfelbäckchen, fast wie Olivia de Havilland in Blond.
People stop and stare; they don’t bother me, for there’s nowhere else on earth that I would rather be.
Die Musik brach schlagartig ab, und eine traurige, rauchige Stimme sang da weiter, wo Vic Damone aufgehört hatte. Julie London heulte mal wieder allen die Ohren voll, was sie immer tat, wenn Daisys Mutter in der entsprechenden Stimmung war.
Daisy hörte ihre Schritte auf der Treppe, dieses Tapp-tapp in einem präzisen, aus wenigen Schlägen bestehenden Rhythmus, der nur durch eine winzige Zögerlichkeit vor dem Aufsetzen des Fußes unterbrochen wurde. Ihre Mutter klopfte leise an die Tür, ehe sie den Knauf drehte. Daisy sah, dass Tante Helena nichts gehört hatte und sich jetzt mit immer noch roten Wangen der Tür zuwandte.
Now you say you’re lonely …
Die Tür ging auf, und Daisys Mutter stand in einem duftigen Abendkleid aus lavendelblauem, mit goldenen Tigern bestickten Musselin da. Ihr dunkles Haar war nach hinten gebürstet und gab den Blick auf helle, runde Saphirclips frei. Erstaunt registrierte Daisy, dass die Saphire fast genau dieselbe Farbe wie das seidene Unterkleid hatten.
»Du siehst
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