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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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ein Glas und die Milchflasche. Tante Helena drückte sich die Flasche an die Stirn. Daisy dachte über die seltsame Wirkung nach, die Partys auf Erwachsene ausübten, genau wie Weihnachten, wenn keine Regeln mehr galten. Ihr Vater und ihre Tante, noch im Schlafanzug um diese Tageszeit und völlig kopflos. Es erinnerte sie an die Erwachsenenfilme, in die ihre Mutter sie manchmal mitnahm und in denen die Erwachsenen etwas zueinander sagten und alle im Publikum lachten, außer Daisy, die nicht verstand, was daran lustig sein sollte.
    Jedenfalls hatte die Party das Tiger House fest im Griff, und für Daisy ähnelte die Atmosphäre einem einzigen großen Wutanfall. Weiter weg, in den nach vorn liegenden Zimmern, hörte sie ihre Mutter alle Fenster zum Lüften öffnen. Gleich darauf ertönte Tellergeklapper, immer wieder unterbrochen von dem Ausruf »Verdammt!«.
    Ed betrat frisch geduscht und in einer gutgebügelten Latzhose die Küche. Als er hereinkam, tat Tante Helena deutlich erkennbar ihr Möglichstes, um sich aufzurichten, aber er warf ihr trotzdem einen missbilligenden Blick zu. Daisy ärgerte sich darüber.
    »Wir frühstücken heute alle im Schlafanzug«, erklärte sie kategorisch.
    »Die Indianer standen mit der Sonne auf, um ihr Frühstück zu erjagen«, erwiderte Ed trocken.
    »Gut, dann frühstücke eben mit den Indianern«, sagte Daisy.
    Ihr Vater schaltete sich ein. »Rührei, Ed?« Er sagte es mit ganz normaler Stimme, aber Daisy bemerkte, dass seine Hand über der Pfanne innehielt und die Eier zu rauchen begannen.
    »Nein danke«, antwortete Ed und sah ihren Vater einige Sekunden lang an. Dann drehte er sich um. »Ich überprüfe mal die Mausefallen.«
    Ihr Cousin verließ die Küche, aber sein Unmut blieb und verdarb die kumpelhafte Stimmung.
    »Tja«, sagte Tante Helena und erhob sich seufzend, »dann ziehe ich mich mal besser an. Deine Mutter braucht bestimmt Hilfe.«
    »Essen ist fertig!«, rief Daisys Vater und stellte den Teller mit dem Rührei vor sie hin.
    Daisy hatte sich gerade einen leicht angekohlten Bissen in den Mund geschoben, als ihre Mutter hereinkam.
    »Daisy Derringer, du nimmst sofort den Fuß vom Stuhl! Und warum steht die Milch hier draußen? Sie wird doch sauer!« Ihre Mutter nahm die Flasche und sah sich um. »Was soll diese Schweinerei – alle diese Pfannen und Teller und Gläser?«
    »Der Mensch muss essen«, erwiderte Daisys Vater, stellte die Pfanne ins Spülbecken und ging zu ihrer Mutter. »Sogar Soldaten bekommen ein Frühstück, ehe man sie in die Schlacht schickt.«
    »Ja, der Mensch muss essen.« Sie versuchte sich aus seiner Umarmung zu lösen. »Aber der Mensch muss nicht so viel trinken und dann den ganzen nächsten Morgen verbummeln, wenn zwölf Stunden später hundert Gäste kommen.«
    »Verbummeln, genau. Mein Gott, es ist halb sieben. Anständige Leute liegen um diese Zeit noch im Bett!«
    Daisy beobachtete ihre Eltern über ihr Frühstück hinweg. Ihr Vater sah lächelnd zu ihrer Mutter hinunter, die herumzappelte wie Daisy, wenn sie mit Sonnenmilch eingecremt werden sollte.
    »Warum engagierst du eigentlich die Mädchen, wenn du sie dann nichts tun lässt?«
    »Räum einfach das verdammte Geschirr weg, Hughes!«, sagte ihre Mutter und überließ Daisy und ihrem Vater die helle, chaotische Küche mit dem Teller voll ausgekühltem Rührei.
     
    Gegen Mittag herrschte im ganzen Haus hektische Betriebsamkeit. Die enorme Hitze brachte die Schnittblumen zum Welken, obwohl eines der Mädchen ständig mit einem Krug Eiswasser zum Nachgießen bereitstand. Nicht weniger schlapp hatte die Hitze die Top Liners gemacht, eine Ragtime-Band, die Daisys Mutter vom Festland engagiert hatte. Die Musiker waren bereits ziemlich aufgelöst angekommen und schlugen nun hinter dem Eiskeller die Zeit tot. Soweit Daisy es mitbekommen hatte, mussten sie unterwegs Opfer einer Art Lärmattacke geworden sein, und Daisys Mutter hatte ihnen befohlen, von der Bildfläche zu verschwinden.
    »Die sind ja völlig zugedröhnt!«, hatte sie geschrien, nachdem Daisys Vater die Männer von der Fähre abgeholt hatte.
    »Ich wünschte,
ich
wäre zugedröhnt«, hatte ihr Vater erwidert.
    »Nimm dir einfach eine Flasche Gin und fang an, dann stehst du wenigstens nicht im Weg herum!«, hatte Daisys Mutter in ätzendem Ton entgegnet. »Allerdings dürfte Helena bereits einen gewissen Vorsprung haben.«
    Auf dem vorderen Rasen, jenseits der North Water Street, waren Männer in Arbeitsanzügen dabei, ein

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