Zeit der Raubtiere
zur Seite und sah sie an, als müsste er eine Entscheidung treffen.
»Warum siehst du meiner Mutter zu, Ed Lewis?«, flüsterte Daisy. »Bist du ein Lustmolch? So einer wie Mr. Wilcox?«
»Hör auf mit Mr. Wilcox!« Seine Stimme klang hart und gepresst.
»Diese Streichhölzer, die vom Hideaway …«
Ehe sie den Satz beenden konnte, sah Daisy hinter Ed ihren Vater heranlaufen. Er kam von der anderen Seite des Bootshauses, und sein Tempo versetzte sie in Panik.
»Weg von ihm, Daisy!«
Sonst sagte er nichts, weder zu ihr noch zu Ed, sondern packte Ed und zerrte ihn Richtung Strand.
Daisy blieb stehen und sah zu, wie ihr Vater ihrem Cousin dort den Arm auf den Rücken drehte und sein Gesicht ganz nahe an das des Jungen brachte. Einzelne Wörter drangen zu ihr herauf.
»Wenn du noch einmal … meine Frau …« Ihr Vater schüttelte Ed, während er sprach. »… dann erzähle ich, dass …«
Wie in Erwartung einer Antwort hörte ihr Vater auf zu reden, und Ed führte mit regloser Miene den Mund ans Ohr ihres Vaters. Als seine Lippen sich nicht mehr bewegten, war das Gesicht ihres Vaters im Mondlicht eine Spur bleicher geworden.
»Daisy?«
Daisy zuckte zusammen, als sie ihre Mutter hörte.
»Mummy!« Daisy lief zu ihr und drückte sich an den feuchten Körper. Ihre Mutter fühlte sich kühl und sauber an, und Daisy wäre am liebsten in ihre Arme gekrochen, in ihren Schoß, ihre Haut.
Ihre Mutter legte den Arm um sie. Mit der anderen Hand zupfte sie den durchweichten Träger ihres Unterrocks zurecht, den sie noch nass übergezogen hatte.
»Mein Gott, was ist denn los?« Ihre Mutter sah Daisy an und richtete den Blick dann Richtung Strand. »Was macht dein Vater da? Kam das Gebrüll von ihm?«
Daisy sah, dass nur noch ihr Vater am Ende des Rasens stand und auf die Hafenlichter starrte. Plötzlich interessierte es sie nicht mehr, dass Ed ein Lustmolch war und ihr Vater völlig verrücktgespielt hatte.
»Mummy.« Sie begann zu weinen, schluchzte in den Seidenstoff, sog den schwachen Duft des Maiglöckchenparfums ihrer Mutter und den Meeresgeruch ein.
»Was geht hier vor?« Es klang verärgert.
»Ach, Mummy.« Daisy rieb ihr Gesicht am Unterrock ihrer Mutter. »Es ist alles so furchtbar. Alles läuft schief. Tyler hat Peaches geküsst, und dann …«
»Ach so«, sagte ihre Mutter. »Ach so, ich verstehe.« Sie seufzte und strich mit der Hand über Daisys Kopf. »Wir zwei gehen jetzt kurz ins Bootshaus, und du erzählst mir, was passiert ist, ja?«
Das Bootshaus roch nach Leinöl und Moder. Neben dem Picknickkorb lag ein hingeworfenes Handtuch. Ihre Mutter nahm zwei gelbe Bootskissen von der Wand, setzte sich im Schneidersitz auf das eine und klopfte auf das andere neben sich. Im Halbdunkel sah Daisy, dass ihre Haare kaum nass und die glänzenden dunklen Locken noch immer aus der Stirn gebürstet waren. Die Saphire an ihren Ohren glitzerten im Schein des Leuchtturms von Chappaquiddick, der durch die kleinen Fenster strich und ihre Gesichter immer wieder kurz erhellte.
»Also«, sagte ihre Mutter, während Daisy sich auf dem zweiten Kissen niederließ, »worum geht es?«
Daisy legte den Kopf in den Schoß ihrer Mutter und spürte deren warme Hand im Nacken. »Ich habe sie gesehen«, sagte sie leise. »Sie haben sich auf der Veranda geküsst. Auf unserer Veranda. Und Peaches hatte diese grässliche Rose, mit der ihre Mutter Wettbewerbe gewinnt. Und sie hat den Arm um ihn gelegt. Und …«
»Eine Rose?«
»Es geht nicht um die Rose«, sagte Daisy ungeduldig. »Es geht darum, dass ich besser bin als sie. Ich weiß es einfach.«
»Gut. Also, es geht nicht immer darum, sich den besten Menschen auszusuchen«, sagte ihre Mutter. »Manchmal …« Sie schwieg, und ihre Hand in Daisys Nacken erstarrte. »Manchmal fühlen sich die Leute einfach einsam, und dann machen sie komische Sachen.«
Daisy dachte darüber nach. »Aber Tyler hat sie ausgesucht. Ich wollte ihn, und er hat
sie
ausgesucht.« Sie vergrub das Gesicht im Schoß ihrer Mutter. »Ach, Mummy, ich will sterben. Warum hat er das gemacht? Warum liebt er mich nicht?«
»Es tut weh, Liebling, ich weiß. Es ist so schwer, jung zu sein und alle diese Sehnsüchte zu haben.«
»Aber als du jung warst, hast du Daddy geliebt, und er hat dich geliebt. Du hast gekriegt, was du wolltest.«
»Also, erstens waren wir älter als du. Und dann hatten wir eben einfach Glück.« Ihre Mutter seufzte.
»Ich will auch Glück haben.«
»Du wirst mehr haben als
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