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Zeit der Raubtiere

Zeit der Raubtiere

Titel: Zeit der Raubtiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Klaussmann
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den Platz jagte, sobald sich ihre Armmuskeln spannten, um dem Schlag Kraft zu verleihen, und ihre Schenkel sich streckten, spürte sie keinen Schmerz.
    Sie sah Peaches’ Bewegungen, sah die Bewegungen des Balls, doch ihre Gedanken schweiften ab. Sie sah das tote Mädchen vor sich, Peaches und Tyler unter dem japanischen Lampion und Eds weiße Knöchel, als sie an der Tür zum Speisezimmer lauschten. Daisy spielte, um die Bilder zu verscheuchen. Sie musste nur härter schlagen, sich weiter strecken, schneller laufen, dann würden sie eines nach dem anderen verschwinden.
    Und sie schlug härter und lief schneller, schlug und lief, schlug und lief, bis sie Peaches den Aufschlag abnahm. Sie gewann den Satz. Dann gewann sie ihr nächstes Spiel und das nächste ebenso, bis nur noch ein Spiel zum Sieg fehlte. Und sie würde siegen, und dann würde niemand ihr je wieder weh tun; dann würde sie fürs Leben gestählt sein.
    Es stand dreißig vierzig. Peaches bereitete sich auf ihren Aufschlag vor. Der Ball war schwach, Daisy lief los. Noch in der Bewegung retournierte sie auf Peaches’ Rückhand, um einen Flugball vorzubereiten. Als Peaches sah, dass Daisy ans Netz ging, veränderte sich ihre Miene. Der Ball kam, und Daisy führte den entscheidenden Schlag – einen starken, scharfen Flugball auf Peaches’ Vorhand. Sie hätte ihn genauso gut nach Timbuktu schicken können. Es war vorbei.
    Sie ließ ihren Schläger auf den Sandboden fallen, wo er mit einem dumpfen Laut aufkam. Sie blieb auf dem heißen Spielfeld stehen und sah Peaches an. Deren Pferdeschwanz hatte sich aufgelöst, und ihr rundes Gesicht war so tiefrosa angelaufen, als hätte man sie geschlagen. Einen Augenblick lang hatte Daisy Mitleid mit ihr, aber irgendwie auch mit sich selbst. Doch dann kam ihre Mutter und umarmte sie, und sie keuchte in die Baumwollbluse ihrer Mutter hinein. Sie spürte, dass Ed ganz nah dabeistand.
    Eigentlich hätte sie Peaches jetzt die Hand geben müssen. Aber sie wollte den kühlen Schatten genießen, den der Körper ihrer Mutter spendete, und die Leere im Kopf.
    Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich fein.

[home]
    Helena
    August 1967
    H elena trottete zum Spiegel und betrachtete sich in der frühmorgendlichen Sonne. Ihr blondes, angegrautes Haar stand kraus vom Kopf ab wie eine hässliche Krone. Sie musste an eine Zeile in einem Gedichtband von Nick denken, in der irgendetwas als »erlesen und ausschweifend« bezeichnet wurde. Ausschweifend, allerdings. Eine ganze Kiste mit Nicks Büchern hatte man versehentlich nach Los Angeles geschickt, als sie nach dem Krieg aus der Elm Street ausgezogen waren. Sie hatte sie eigentlich direkt nach St. Augustine weitersenden wollen, aber als erst eine, dann zwei Wochen vergangen waren, ohne dass sie es geschafft hatte, zur Post zu gehen, begann sie, in den Büchern zu stöbern.
    Sie blickte wieder in den Spiegel, hob ihre schweren Brüste mit beiden Händen an und drehte sich, um sie im Profil zu betrachten. Dann ließ sie sie herabplumpsen. Sie musterte ihre Wangen, die einmal an Äpfel erinnert hatten und jetzt nur mehr rundlich waren. Über die Stirn, die im grellen Licht pergamenten aussah, schlängelten sich feine Sorgenfalten.
    Das Zimmer, in dem sie aufgewacht war, wirkte überaus hell und freundlich mit seinen großzügigen Ausmaßen und den frischen, fröhlichen Farben. Trotzdem deprimierte es sie. Es hatte etwas Anklagendes. In solch schimmerndem, vorwurfsvollem Ostküstenlicht war sie groß geworden, doch sie fühlte sich nicht hell und fröhlich.
    Sie seufzte. Das Grübeln führte zu nichts. Der ganze Schlamassel war ja vor allem deshalb entstanden, weil zuerst zu viel und dann zu wenig gegrübelt worden war, und deshalb war sie auch in diesem Zimmer aufgewacht, dem Zimmer mit den Hüttensängern an der Wand, dem Zimmer im Haus einer anderen.
    Sie setzte sich an den Frisiertisch. Ihr Blick wanderte über die fleckige Glasplatte und blieb an einem Foto hängen, auf dem sie zwischen Hughes und Nick zu sehen war. Nick hatte es dort aufgestellt. Alle drei schauten in die Sonne, und ihre eigenen Augen waren zum Teil im Schatten ihrer Brauenbögen verborgen. Nick hatte den Blick zur Seite gerichtet, als hätte dort jemand ihre Aufmerksamkeit erregt, wodurch sich ihre Züge plastischer abhoben.
    Helena ruckelte ein bisschen am Rahmen, ruckelte weiter, bis das Bild scheppernd zu Boden fiel. Beim Aufheben sah sie, dass das Glas zerbrochen war. Sie zog das Foto heraus,

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