Zeit der Raubtiere
zu.
»Mach dir keine Sorgen wegen dieser Schnecke. Morgen kriegst du deine Chance«, sagte Anita. »Wenn du willst, kann ich ihre Schlägersaiten lockern.«
»Vergiss es.« Daisy betastete die Perlenbrosche, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte. »Los, komm!«
Sie folgten Tyler und Peaches zur Bar.
Tyler wandte sich an Daisy und sagte: »Die Flaschen sind dahinten, und er passt offenbar ziemlich gut darauf auf.«
»Macht nichts«, meinte Peaches. »Mein Vater erlaubt mir ein bisschen Champagner auf Partys. Ich frage einfach.«
Sie sahen zu, wie Peaches selbstbewusst hinging und ein paar Worte mit dem Barkeeper wechselte, der auch tatsächlich brav zwei Gläser füllte. Genau das hatte ihre Mutter gemeint, dachte Daisy. Das ist das gewisse Etwas. Sie hätte am liebsten losgeheult. Sie hatte das gewisse Etwas nicht und würde es nie haben. Niemand würde sie jemals lieben oder küssen und schon gar nicht mit Champagner verwöhnen. Sie war verloren.
Peaches kam mit den beiden Gläsern zurück. »Da, Tyler«, sagte sie und reichte ihm eines.
»Also bitte, Peaches, warum denn nicht vier?«, fragte Tyler.
Sie sah ihn verblüfft an.
»Schon gut, die Mädchen können bei mir mittrinken. Aber besser irgendwo, wo eure Eltern uns nicht sehen.«
»Wir könnten zum alten Eiskeller hinter dem Haus gehen«, schlug Daisy vor.
»Prima«, sagte Tyler.
»Prima«, sagte Daisy, nahm Tylers Arm und bedachte Peaches mit einem süßlichen Lächeln.
Sie saßen auf dem Rasen hinter dem Haus und durchstöberten die Instrumentenkästen, die die Musiker auf dem Gras zurückgelassen hatten. Anita blies träge in ein Mundstück aus dem Koffer des Trompeters, während Daisy den ersten Schluck aus Tylers Glas trank. Sie glaubte, an der Stelle, wo er getrunken hatte, noch seinen süßen Atem zu schmecken. Doch der Champagner war bitter und brannte in der Kehle. Sie strich mit der Hand durch das warme Gras. Sie hätte gern die Schuhe ausgezogen wie ihre Mutter, als sie Stunden zuvor genau da lag, aber sie ließ sie an, weil sie glaubte, sie würde sich dann nackt fühlen.
Peaches trank ihren Champagner in winzigen Schlucken und hielt die Schale mit abgespreiztem kleinem Finger.
Anita setzte das glänzende Mundstück ab, legte sich hin und streckte die Arme über dem Kopf. »›Wie silbersüß tönt bei der Nacht die Stimme der Liebenden, gleich lieblicher Musik dem Ohr des Lauschers‹«, sprach sie zum Himmel hinauf.
Daisy sah Tyler schmunzelnd an und gab ihm das Glas zurück.
»Verdammt gut, so ein Champagner«, sagte Tyler und schüttete sich den Rest in den Mund.
Einen Moment lang schämte sich Daisy für ihn; die Art, wie er über den Champagner sprach, und die unfeine Weise, ihn zu trinken, hatten etwas Unechtes. Sie begann, mit der Musik mitzusummen, damit das Gefühl verschwand.
Peaches neigte Tyler neckisch den Kopf zu. »Sag mal, Tyler, hast du eigentlich eine feste Freundin?«
Tyler lachte. »Der Kavalier genießt und schweigt.«
»Ach, komm schon!«
»Mensch, Peaches, du kannst einen ganz schön ins Schwitzen bringen«, erwiderte Tyler und wischte sich in gespielter Verlegenheit über die Stirn.
Daisy liebte ihn wieder.
»Na gut«, sagte Peaches. »Wie wär’s mit Tanzen? Tanzt du, oder ist das auch ein Geheimnis?«
»Ehrlich gesagt hätte ich lieber noch ein Glas Champagner.«
»Ja, das wäre auch eine Möglichkeit.« Peaches stand auf und reichte Tyler die Hand. »Komm mit!«
Tyler sah Daisy an und ergriff achselzuckend Peaches’ Hand. »Wir besorgen noch mehr Champagner.«
Daisy erwiderte sein Achselzucken, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, aber dass er so schnell eingewilligt hatte, tat ihr in der Brust weh.
»Ich hasse sie«, stieß Daisy inbrünstig aus, als die beiden außer Hörweite waren. »Ich glaube, ich werde in meinem ganzen Leben nie jemanden so hassen.«
Die Klänge von »Sweet Georgia Brown« schwebten vorüber.
»Sie ist eine Langweilerin«, sagte Anita. »Aber überleg mal, wie gut es dir morgen gehen wird, wenn du sie schlägst. Ich muss die ganze Zeit daran denken.«
»Es kann auch ganz anders kommen. Bitte verschrei es nicht!«
Daisy fragte sich, was wohl aus Ed geworden war. »Also, ich warte nicht ewig hier hinter dem alten Eiskeller«, sagte sie nach einer Weile. »Wir verpassen noch die ganze Party.«
»Die sind gleich wieder da.« Anita setzte sich auf und rutschte zu Daisy hinüber. »Soll ich dir aus der Hand lesen? Das hat mir eine Freundin meiner Mutter
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