Zeit der Raubtiere
aus der Hand geschlagen. Sie presste ihre Hände aneinander, damit sie nicht zitterten.
»Wir könnten zum Friseur gehen und uns die Haare machen lassen.«
»Ich bin doch keine tattrige alte Frau, Daisy. Ich bin durchaus noch in der Lage, selbst einen Friseurtermin zu vereinbaren.« Sie hörte die Schärfe in ihrer Stimme.
»So habe ich es nicht gemeint«, sagte Daisy. »Natürlich bist du dazu in der Lage. Es war als Geburtstagsspaß gedacht. Als lustige Unternehmung.«
»Entschuldige, meine Liebe. Ich habe nicht gut geschlafen. Bin wahrscheinlich mit dem falschen Fuß aufgestanden.« Helena seufzte. Diese Vertuschungsmanöver waren so lästig, aber sie musste vorsichtig sein. Sie musste fröhlich und vor allem gesund wirken. Sie richtete sich auf. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist der Salon genau das Richtige für mich.«
Als Daisy hineingegangen war, um Shelley’s in Vineyard Haven anzurufen, den einzigen Friseur auf der Insel, widmete sich Helena ihrer Melone. Sie hätte sie natürlich als Erstes essen müssen, wie jeder andere Mensch es tat und auch sie es früher getan hatte, aber heute war ihr das egal. Schließlich hatte sie Geburtstag, und der kleine subversive Akt bereitete ihr Freude.
Sie spießte einen der Melonenwürfel auf, die Nick garantiert mit absoluter Präzision geschnitten hatte, und biss hinein. Es überraschte sie, wie süß er schmeckte. Sie erinnerte sich an ihre erste Melone in Kalifornien, nicht lange nachdem sie dorthin gezogen war. Avery hatte sie zum Frühstück ins Cabana Club Café im Beverly Hills Hotel eingeladen. Das war 1945, und Helena hatte zuvor noch nie außer Haus gefrühstückt, ja nicht einmal gewusst, dass man das tun konnte – schon gar nicht an irgendwelchen Pools, sondern höchstens in einem düsteren, schmuddeligen Diner, als Vertreter zum Beispiel. Man hatte ihr eine Scheibe Cantaloupe serviert, jedenfalls glaubte sie, dass es Cantaloupe war. Konnte auch Honigmelone gewesen sein. Jedenfalls begannen, als sie hineinbiss, Funken zu sprühen – anders konnte sie es nicht beschreiben. Noch nie hatte sie etwas so Fruchtiges gegessen, und damals, nach den Kriegsrationierungen im Osten, glaubte sie, gestorben und im Himmel gelandet zu sein. Oder zumindest auf einem anderen, unglaublich glamourös ausgestatteten Planeten.
Denn genau das war Los Angeles in den ersten Monaten für sie gewesen. Alles war neu und spektakulär und außerirdisch. Avery hatte ihr, als sie noch in Cambridge wohnte, geschrieben, er habe ein Haus gefunden, doch am Bahnhof teilte er ihr mit, dass sie im Gästehaus eines berühmten Hollywood-Produzenten wohnen würden. (Der Produzent. Auch als sie längst seinen Namen kannte, blieb Bill Fox für sie »Der Produzent«, wie eine Figur in einem Drehbuch.)
Gut, die Trauung im Rathaus war nichts Besonderes gewesen, aber sie hatte sich gesagt, dass Avery eben viel zu tun habe und Hochzeiten sowieso immer zu wichtig genommen würden. Sie hatte einen cremefarbenen Hut getragen, den ihr die Verkäuferin bei Bullock’s aufgeschwatzt hatte. Wo der Hut jetzt war, wusste sie nicht.
Nachdem der Friedensrichter sie zu Mann und Frau erklärt hatte, war Avery mit ihr in das Gästehaus in der Blue Sky Road zurückgefahren. Sie hatte bis dahin in einem kleinen Hotel gewohnt, und obwohl der Bungalow eng und dunkel war, empfand sie solche Erleichterung darüber, endlich ein Zuhause zu haben, dass sie die weniger ansprechenden Besonderheiten des Hauses gar nicht bemerkte. Avery führte sie ins Schlafzimmer. Dort lag über das Bett gebreitet ein trägerloses Kleid, bestickt mit Silberfäden und mit einem Futter aus cremefarbenem Satin, der als Detail in Form einer Stoffbahn an der linken Hüfte wiederkehrte. Helena musste laut lachen. Nick war so stolz auf ihr Kleid mit den Kirschen – schade, dass sie das hier nicht sehen konnte.
Avery hielt das Kleid hoch, und Helena zog sich bis auf den Unterrock aus – es machte sie nur kurz verlegen, plötzlich unbekleidet vor ihrem neuen Ehemann zu stehen – und schlüpfte hinein. Es saß wie angegossen.
»Woher wusstest du, welche Größe ich habe?« Helena war förmlich atemlos vor Freude.
»Ich habe deine Körpermaße genommen«, erklärte Avery augenzwinkernd, »und gesagt, dass du dieselben wie Jane Russell hast und nur ein bisschen kleiner bist.« Er nahm ihre Hand und wirbelte sie herum. »Perfekt. Und jetzt fahren wir in die Stadt, damit ich mit dir angeben kann!«
Er hatte sie ins Ciro’s
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